Von Robert Kuhn und Mirjam Mahn
Nach dem bereits im letzten Jahr erfolgreich absolvierten 1. Mitteldeutschen Archäologentag zur Schlachtfeldarchäologie lud das Landesamt für Archäologie in Sachsen-Anhalt nun zur zweiten Auflage mit dem Schwerpunkt Anthropologie und Isotopenanalysen in der Archäologie.
Den eröffnenden Festvortrag präsentierte Dr. Tütken, der über „Die Isotopenanalyse fossiler Skelettreste – Anwendungsmöglichkeiten in der Archäologie und Paläontologie“ referierte. Er umriss damit bereits den Einsatz und die Funktion der Isotopenanalyse, sowie ihre Bedeutung für die Archäologie und gab einen Einblick in diese neue, polyvalente Untersuchungsmethode. Der Blick auf die kleinsten Elemente birgt Potential für vielfältige Aussagen zu einzelnen Individuen, ebenso wie zur Umwelt in der Vorzeit. So erlauben molekulargenetische Untersuchungen und die Analyse von Isotopenverhältnissen – etwa von Strontium (87Sr/86Sr), Sauerstoff (18O/16O) Stickstoff (N) oder Kohlenstoff (C) – Datierungen, Umweltrekonstruktionen vorgeschichtlicher Flora und Fauna, Verwandtschaftsrekonstruktionen, Aussagen zu Migration, Domestikationsereignissen, ernährungsbedingten Anpassungen etc. Die Isotopenmessungen ermöglicht ein Massenspektrometer (MS). Ein Problem der Methode ist die invasive Beprobung: Aus den Skelettresten muss eine Materialmenge von ca. 10 mg entnommen werden. Abschließend gab Tütken einen interessanten Ausblick auf eines seiner neuesten Projekte: Anhand von Isotopenanalysen fossilisierter Knochenfunde von Dinosauriern soll die Thermophysiologie der Tiere beleuchtet werden. Waren diese Reptilien warm- oder kaltblütig oder regelten sie ihre Körpertemperatur in einer ganz eigenen Art und Weise?
Der gesamte Freitag war als reiner Konferenztag konzipiert. Nach einer kurzen Einführung durch Herrn Prof. Meller berichtete die Anthropologin Dr. Hummel aus Göttingen über ihre Forschungsarbeit in der Lichtensteinhöhle. In dieser 140 m langen und sehr engen Höhle im Harzvorland waren unter anderem ca. 10.000 menschliche Knochen geborgen worden. Ihr natürlich entstandener Überzug mit einer Gipssinterschicht schuf hervorragende Voraussetzungen für die Erhaltung von DNA. Zusammen mit den Methoden der klassischen Anthropologie und mittels chemischer Verfahren gelang es nicht nur, den Platz schlüssig als einen Bestattungsplatz zu interpretieren: DNA-Analysen ermöglichten, erstmals in der Vorgeschichtsforschung einen Familienstammbaum aus so früher Zeit zu erstellen. Mit der Skelettreihe der Lichtensteinhöhle wurde zudem ein genetisches Archiv für die Bronzezeit angelegt. Die gefundenen Knochen konnten 60–70 Individuen zugewiesen werden, von denen bislang 40 genetisch typisiert wurden. Ein weiteres überraschendes Ergebnis war, dass bei der Beprobung rezenter DNA von 220 Probanten sich tatsächlich zwei Männer fanden, die mit dem genetischen Code der Bronzezeit Verwandtschaft aufwiesen.
Auch der Vortrag von Frau Dr. Bolongino war ganz dem Thema der Genetik in der Archäologie gewidmet. Sie stellte einige in Mainz laufende Projekte zu genetischen Studien zum Neolithikum vor, wobei sie Computersimulationen als Werkzeug naturwissenschaftlicher Analysen hervorhob. Im Fokus stand zum einen die Frage nach der Ursprungsregion der Rinderdomestikation, deren Lokalisation im Bereich des Vorderen Orients durch Ergebnisse von DNA-Untersuchungen gestützt wird, wie auch die Frage nach der Kontinuität von Paläo-/Mesolithikern und den Bandkeramikern. Letztere konnte von der Referentin verneint werden. Als Argument diente unter anderem das Auftreten der genetisch vererbbaren Laktase-Persistenz – der Verträglichkeit von Milchzucker – in bandkeramischen Populationen in Diskrepanz zur Unverträglichkeit bei paläo- und mesolithischen Individuen.
Einen nahezu schon 200 Jahre währenden Forschungsstreit griff im Weiteren Prof. Parson aus Innsbruck auf. Er und sein Team waren gebeten worden, die Identität des so genannten „Schwabeschädels“ zu überprüfen, der in der Weimarer Fürstengruft als der Friedrich Schillers ausgegeben wird. Überprüft wurden mt-DNA-Stränge und n-DNA zur Rekonstruktion der weiblichen Verwandtschaft des großen Poeten, Y-Haplotypen zur männlichen Verwandtschaft. Alle drei Untersuchungen fielen negativ aus. Der Schwabeschädel kann demnach nicht der des Dichters sein. Ein zweiter fraglicher Schillerschädel erwies sich als geraubt und durch einen anderen ausgetauscht, der laut den molekularbiologischen Ergebnissen den genetischen Code der russischen Zarenfamilie aufwies. Es mag sich um den mit der russischen Zarin verwandten Ernst August Herzog von Sachsen-Weimar handeln, der hier so unsanft „umgebettet“ worden ist.
Diesem spannenden Kriminalfall folgte ein weiterer: der Fall der Toten von Eulau, Sachsen-Anhalt. Mittels Blockbergung waren 13 Individuen, die der Schnurkeramikkultur angehörten, gehoben worden. An den Bestattungen konnten multidisziplinäre Untersuchungen (klassische Anthropologie, Geochemie, Archäologie und Genetik) vorgenommen werden. In deren Verlauf gelangten die Bearbeiter zu der Erkenntnis, einige der Personen seien eindeutig Gewalttaten zum Opfer gefallen. Meller und Kollegen gehen davon aus, es habe sich aller Wahrscheinlichkeit nach um einen Racheakt gehandelt, da beim postulierten Angriff weder Frauen noch Kinder geschont worden waren. Die Jugendlichen und arbeitsfähigen Männer hatten sich anscheinend zum Zeitpunkt des Geschehens nicht vor Ort aufgehalten, nahmen aber offenbar nach ihrer Heimkehr die Bestattungen vor. Zusätzlich konnte mit der Strontiumisotopenanalyse nachgewiesen werden, dass die hier bestatteten Frauen wohl von außerhalb dieser Siedlung stammen. In Grab 99 konnte die älteste genetisch nachgewiesene Kernfamilie der Vorgeschichte verifiziert werden.
Einen Grundlagenvortrag zur derzeitigen Situation der multidisziplinären Zusammenarbeit hielt Prof. Alt. Er reflektierte die Entwicklung der Kooperation der Wissenschaften in einem kritischen Rückblick, diskutierte in aller Kürze ebenso einige der bereits vorgestellten Methoden differenziert, wie die Modellierung mit Computersimulation. Wenngleich sich noch ungenügende echte Transdisziplinarität in den Wissenschaften untereinander bemängeln ließ, so konnte sein Aufruf nach mehr wirklicher Zusammenarbeit und dem Streben nach gegenseitigem Verständnis unter den Kongressmitgliedern nur begrüßt werden. Es steht zu hoffen, dass die Interaktion zwischen den Wissenschaften sich weiter verbessert!
Am Nachmittag zeichnete Dr. Müller aus London aufgrund von Daten, die durch Sauerstoffisotopie ermittelt wurden, die einzelnen Lebensstationen der Ötzi genannten Eismumie nach. Prof. Horn schließlich stellte einige sehr interessante Forschungsergebnisse zu peruanischen Mumien aus Nazca, Südperu vor. Auch er arbeitete mit Isotopen. Des Weiteren führte er den Fall eines in die Zeit um 1250–1300 cal.BC datierten, nach dem Tod mit konservierenden Maßnahmen behandelten Verstorbenen aus der Michaeliskirche von Jena vor.
Das Team um Dr. Kaiser beschäftigte sich mit paläogenetischen Untersuchungen und Computersimulationen des Schwarzmeergebietes, wobei Kulturen wie die Yamnaya-Kultur im Fokus der Betrachtung lagen.
Dr. Pike berichtete über eine neue Methode der laser-gestützten Materialbeprobung zur Strontiumisotopie (La-MC-ICPMS) mit höherer Präzision (<300 ppm Genauigkeit im Vergleich zu gewöhnlich <20 ppm).
Im Rahmen ihrer Dissertation stellte C. Knipper ihre Forschungen zur Haustierwirtschaft in der Bandkeramik vor. Im Fokus stand die Untersuchung der beiden in der Forschung opponierenden Thesen der Transhumanz bzw. der Haltung der Tiere in Siedlungsnähe. Anhand von Isotopenanalysen von Schweine- und Rinderzähnen aus ausgewählten süddeutschen und schweizerischen Siedlungen (Stuttgart-Mühlhausen, Hilzingen und Vaihingen) gelang ihr der Nachweis, dass die Bandkeramiker eher eine intensive kleinräumige Tierhaltung betrieben und saisonaler Weidewechsel eher eine Ausnahme darstellte.
Mit dem Vortrag von Prof. Bork konnte bereits ein Ausblick auf den im nächsten Jahr stattfindenden 3. Mitteldeutschen Archäologentag gegeben werden, der ganz im Zeichen der geologischen Wissenschaften stehen wird. Der Referent hielt einen Grundsatzvortrag zu Landschaftssystemanalysen anhand des Siedlungshügels von Niederröblingen.
Es folgte eine sehr intensiv wahrgenommene Abschlussdiskussion, dirigiert von Prof. Alt und Prof. Meller, die zum einen den Konferenztag Revue passieren ließen, zum anderen das Problem des verantwortungsbewussten, ethischen Umgangs mit den molekularbiologisch gewonnen Daten angesichts der Missbrauchgefahr durch extreme Gruppierungen thematisierten. Als Ausklang des Abends stand ein Empfang im Landesmuseum mit dem Besuch der Dauerausstellung auf dem Programm.
Der dritte Tag war der praktischen Arbeit und dem Umgang mit dem archäologisch zu bergenden Skelettmaterial gewidmet. In einem von Prof. Alt geleiteten Workshop wurde der korrekte Beprobungsvorgang von Knochen und Zähnen in situ auf Grabungen vorgeführt. Aus den hierbei gehaltenen Vorträgen von G. Brandt und C. Knipper zu „Beprobungsstrategien für DNA- und Isotopenanalysen an prähistorischem Skelettmaterial“ soll ein Flyer entworfen werden. Neben detaillierten Anleitungen zur Beprobung werden sich darin Auskünfte finden, welche und wie viele Proben für die jeweilige Analysemethode nötig sind und wie sie gelagert werden müssen – nämlich dunkel und gekühlt. Einheitliche Parameter für ein Probenprotokoll bestehen bislang noch nicht, die Fachspezialisten empfehlen aber zumindest die Dokumentation von Datum und Dauer der Probenentnahme, von Klima und Temperatur, sowie dem pH-Wert des Bodens.
Professor Dr. Kurt Alt bei seinem Vortag © Katharina Kupke