Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns
Die vergessene Geschichte jüdischer Freiheitskämpferinnen

Dieses Buch verdankt sich einem Zufall. Die Kunsthistorikerin und Autorin Judy Batalion recherchierte 2007 über jüdische Frauen im 20. Jahrhundert. Dabei fiel ihr ein jiddischer Band über Frauen im Ghetto in die Hände, der unweigerlich auch vom Widerstand jüdischer Frauen zeugte. In den folgenden Jahren bis zur Erstveröffentlichung 2020 in den Vereinigten Staaten trug Batalion zahllose Mosaiksteine zusammen, aus denen sie schließlich das nun auch auf Deutsch vorliegende umfassende Panorama über den Widerstandskampf jüdischer Frauen vor allem im deutsch besetzten Polen zusammensetzte.

Was für Batalion am Ausgangspunkt die Entdeckung eines ihr unbekannten Themas war und der deutsche Verlag als eine „vergessene Geschichte“ betitelt, war in Teilen freilich auch schon zuvor bekannt und bereits erforscht. Die Erinnerungen einiger Protagonistinnen wie Chaika Grossmann, Hela Rufeisen-Schüpper oder Vladka Meed beispielsweise wurden seit den 1990er Jahren auf Deutsch publiziert und Ingrid Strobl hatte zuvor schon über jüdische Frauen im Widerstand für ein breiteres Publikum geschrieben. Das tut dem packenden Buch von Batalion aber keinen Abbruch, zumal sie viele neue Geschichten und Ereignisse zutage fördert und etliche Frauen in den Mittelpunkt rückt, die zentral für den jüdischen Widerstand im besetzten Polen waren und die außer wenigen Fachleuten niemandem ein Begriff waren.

Diese jungen Frauen – Renia Kukielka, Chasia Bielicka, Frumka Płotnicka und viele andere – waren eine tragende Säule des politischen und bewaffneten Kampfes gegen die deutschen Besatzer. Wie die meisten der männlichen Aktivisten kamen sie weit überwiegend aus den jüdischen sozialistischen und zionistischen Jugendorganisationen der Zwischenkriegszeit, deren Tätigkeit sie auch unter deutscher Okkupation fortsetzten. Das war zunächst die politische Arbeit im Untergrund und vor allem auch Bildungsinitiativen.

Im Laufe der Zeit verdichtete sich diese Arbeit zur Vorbereitung und schließlich des bewaffneten Widerstands. Hier, aber nicht nur hier, ging ohne die Frauen praktisch nichts, da es vor allem sie waren, die den Zugang zu Waffen ermöglichten. Sie reisten unter Lebensgefahr und schmuggelten Waffen, die nur schwer zu beschaffen waren, aber auch Geld und Sprengstoff in die Ghettos. Die Gefahren, die dabei auf Schritt und Tritt nicht nur von Seiten deutscher Sicherheitskräfte, sondern auch von gewöhnlichen nichtjüdischen Polen lauerten sowie den Mut und die List, mit denen Frauen wie Renia Kukielka dem begegneten, schildert Batalion sehr anschaulich. Dabei unterstreicht sie, dass der Anteil der Frauen weit über solche Kurierdienste hinausging.

Die jungen Frauen standen für die Vernetzung der über die verschiedenen Regionen des besetzten Polens verteilten jüdischen Widerstandsgruppen, in denen sie führend tätig waren. Prominenteste Beispiele hierfür sind Zivia Lubetkin in Warschau, die zur Führungsriege der Jüdischen Kampforganisation im Warschauer Ghetto gehörte, und Gusta Dawidsohn-Draenger in Krakau, deren in der Haft heimlich verfassten Erinnerungen als „Tagebuch der Justyna“ ein überaus wichtiges Zeugnis vom jüdischen Widerstand sind. Weitgehend unbekannt aber war bislang beispielsweise Bela Hazan, die bei der Gestapo in Grodno eine Stelle als Übersetzerin antrat und so an Dokumente kam, die als Vorlagen für Fälschungen dienen konnten.

Batalion verwebt all dies zu einem kollektiven Porträt junger jüdischer Frauen, die auf vielen Ebenen und mit allen Mitteln gegen ihre Verfolger und Mörder kämpften. Damit verbunden ist ein Einblick in die Vielfalt jüdischer Jugendorganisationen und in deren Arbeit, die für das Verständnis des jüdischen Widerstands grundlegend waren. Mehr noch entsteht durch die Breite der Darstellung auch ein räumliches Bild vom jüdischen Widerstand, in dem viele Orte auch jenseits des später im Gedenken so dominanten Warschau Zentren des Widerstands genannt werden können – Będzin, Białystok, Krakau, Grodno, Wilna sowie Wälder und anderes mehr. Diese Landkarte jüdischen Widerstands ließe sich noch erheblich erweitern, gab es doch – anders als eine täterzentrierte nichtjüdische Holocaustforschung uns jahrzehntelang glauben machen wollte – Widerstand von Jüdinnen und Juden in allen Phasen ihrer Verfolgung und Ermordung und an zahllosen Orten. Judy Batalions verdienstvolles Buch rückt all dies ins Licht und wird hoffentlich Anstoß zu längst überfälligen weiteren Forschungen sein.