Als die Deutschen weg waren
Was nach der Vertreibung geschah. Ostpreußen, Schlesien, Sudetenland

Berichte über Flucht und Vertreibung der deutschen Ostbevölkerung zum Ende des Zweiten Weltkriegs finden in Deutschland wenig Beachtung. Zurückliegende Publikationen sind längst in Vergessenheit geraten. Noch weit weniger existieren heute Vorstellungen, wie das Leben in den verlassenen und kurz darauf neu besiedelten deutschen Ostgebieten nach 1945 weiterlief. Ein Autorenkollektiv um die deutsche Journalistin Ulla Lachauer und den polnischen Historiker Włodzimierz Borodziej berichtet in vorliegendem Rowohlt-Band über die Zeit, Als die Deutschen weg waren.

Das Buch kann nur wenige Einzelschicksale beleuchten, die aber als exemplarisch für die Vielzahl von Nachkriegsbiographien gelten können, die mündlich weitergegeben, aber niemals aufgezeichnet wurden. So erzählt Autor Hans-Dieter Rutsch unter anderem von der Schlesierin Leopoldine Kutzera, die im Krieg im Sudetenland dienstverpflichtet war und nach Kriegsende im Konflikt mit polnischen Milizen in Schlesien erfahren musste, „dass nicht nur die Deutschen vor den Polen Angst haben, sondern auch Polen vor ihren Landsleuten“ (S. 52 f.).

Das Schicksal von Sudetendeutschen, die nach 1945 in ihrer Heimat blieben, beschreibt Lachauer besonders mit der Kindheit von Christa Petrásková aus Grünwald. Verzweifelt über elterliche Lethargie gegenüber tschechischer Willkürherrschaft wuchs sie in einem Haus auf, das für sie „deutsche Insel im tschechischen Meer“ wurde (S. 145).

Anders als im Buchuntertitel angekündigt, wird Ostpreußen zuletzt aufgeführt. Christian Schulz schreibt hauptsächlich über sowjetische Übersiedler und deren Familien. Aus den Weiten Russlands kommend, war ihnen im ostpreußischen Tollmingkehmen Kontakt mit der stark reduzierten deutschen Bevölkerung verboten: „So bleiben elementare Fragen unbeantwortet. Welches Getreide gedeiht auf den Feldern? Wann muss hier gesät und wann geerntet werden? So werden sie von den jahrhundertealten Erfahrungen ostpreußischer Bauern abgeschnitten, ganz im Sinne der Politik Stalins“ (S. 256 f.).

Als die Deutschen weg waren bietet weit mehr als eine reine Zusammenstellung von Kindheitserinnerungen und Erzählungen. Den Abschnitten Schlesien, Sudetenland und Ostpreußen sind jeweils Erläuterungen von den Historikern Włodzimierz Borodziej, Adrian von Arburg und Jurij Kostjaschow angefügt, die hauptsächlich Diskurse über politische Entwicklungen Mittel- und Osteuropas vor und nach 1945 wiedergeben. Die weiteren Autoren Beate Schlanstein, Hans-Dieter Rutsch, Ulla Lachauer und Christian Schulz haben sich durch eine Vielzahl von TV-Dokumentationen, Features und Reportagen zur aufgeworfenen Thematik einen Namen gemacht. Zu loben ist auch die Zusammenstellung des Bildmaterials aus Porträtaufnahmen, Fotos von Personengruppen, Landschaften und Gebäuden. Das historische Kartenmaterial im Buch fügt sich passend in den Text ein.