Im guten Einvernehmen
Die Stadt Oranienburg und die Konzentrationslager Oranienburg und Sachsenhausen 1933-1945

Mit Frédéric Bonnesoeurs schlanker Studie zur Beziehungsgeschichte der Konzentrationslager Oranienburg und Sachsenhausen zur Stadt Oranienburg liegt eine weitere Arbeit zu Konzentrationslagern und ihrer Umgebung vor. Sie basiert, wie schon bei Sybille Steinbachers Pionierstudie zu Dachau, allem Anschein nach auf der Abschlussarbeit des Verfassers.

Auf der Grundlage der nicht sehr umfangreich überlieferten Akten der KZ-Verwaltung selbst, von Presseartikeln aus dem In- und Ausland, zahlreichen Archivbeständen lokaler Institutionen und Akteure sowie von Erinnerungsberichten leuchtet Bonnesoeur das Thema umfassend aus. Dabei nimmt er vor allem drei Bereiche in den Blick – die Ebene der Verwaltungskontakte, den Wirtschaftssektor im weitesten Sinne und schließlich private Berührungspunkte mit dem Lager sowie seiner Insassen und seines Personals.

Im Falle Oranienburgs, das im März 1933 von der SA gegründet worden war und seinerzeit im In- und Ausland neben Dachau eines der bekanntesten deutschen KZ war, kann sich der Autor auf zahlreiche Presseartikel und andere Veröffentlichungen stützen, die eine entsprechend enge Verflechtung mit der Umgebung auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene belegen. Doch auch für die anderen Bereiche kann er auf hinreichend viel Material zurückgreifen und aufzeigen, wie eng beispielsweise die Entwicklung des Lagers von städtischen Einrichtungen begleitet und mitunter auch forciert wurde, verband man doch mit dem Lager die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung für die örtlichen Betriebe. So half man dabei, ein günstiges Darlehen zu erhalten, stellte kostenlos Möbel zur Verfügung und drängte auf einen Arbeitseinsatz der Häftlinge bei städtischen Arbeiten. Die lokalen Unternehmen, ungefähr 40 belieferten das Lager, profitierten allerdings nicht im erhofften Ausmaß. Vielmehr, das zeigt Bonnesoeur auf, gab es zahlreiche Konflikte wegen der schlechten Zahlungsmoral und der zunehmenden Umgehung lokaler Anbieter bis hin zu einem tagelangen Boykott der Oranienburger Betriebe durch das Lager. Dennoch betont Bonnesoeur, dass das Lager „von der örtlichen SA, der NSDAP-Ortsgruppe, der Stadtverwaltung und großen Teilen der Wirtschaft als gemeinsames Projekt verstanden wurde“ (S. 46).

Ähnlich stellte sich die Lage im Hinblick auf das 1936 an anderer Stelle errichtete Konzentrationslager Sachsenhausen dar. Allerdings war dieses nach den ersten Jahren einer regelmäßigen und ausführlichen Berichterstattung über Konzentrationslager in der Presse kaum noch präsent. Die städtischen Einrichtungen waren wiederum weit verzweigt mit dem Konzentrationslager und seinen Belangen befasst. Ein Beispiel mag illustrieren, was das mitunter für den einzelnen Mitarbeiter heißen konnte. Das Standesamt, das bis zum 1. Oktober 1942 auch für das Lager zuständig war, bis dort ein eigenes eingerichtet wurde, hatte – vor allem während des Krieges – nunmehr eine wahre Flut von Toten, 9000 Todesfälle insgesamt, zu registrieren. Stadtinspektor Otto Griep klagte mehrfach über die enorme Mehrbelastung, verband dies aber mit dem Versuch, dadurch seine Beförderung zum Stadtoberinspektor zu erreichen. Ob dies Ansinnen von Erfolg gekrönt war, erfährt man leider nicht.

Insgesamt waren die Häftlinge des Lagers – nicht nur qua Masse – während des Krieges präsentierter im Stadtbild. Dies lag vor allem an der Zwangsarbeit, die sie für die Stadt, vor allem aber für die Rüstungsindustrie leisten mussten. Daher waren oft Arbeitskommandos zu sehen, die unter Bewachung zur Arbeit geführt wurden; es waren Gefangene des Lagers mitten in der Stadt bei der lebensgefährlichen Entschärfung von Bomben im Einsatz und vieles mehr. Die Stadtbewohner sahen bei solchen Gelegenheiten nicht nur den erbärmlichen Zustand der KZ-Gefangenen, sondern wurden zu Zeugen von Misshandlungen bis hin zum Mord durch das SS-Personal.

Bonnesoeur zeigt das enge Beziehungsgeflecht zwischen dem Lager, seinen Insassen und Mitarbeiten auf der einen und der Stadt und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern auf allen Ebenen klar nach und zeigt einmal mehr, dass die KZ keine isolierten Inseln des Verbrechens waren, die vom Rest der Gesellschaft abgeschirmt waren, von dieser gar abgelehnt worden wären. Vielmehr verbanden sich mit den Lagern Hoffnungen, wirtschaftliche Interesse, ganz persönliche Karrierewünsche und vieles mehr. Doch auch Zeichen von Mitgefühl und Hilfe gehören dazu, die Bonnesoeur gleichfalls in den Blick nimmt, nicht ohne jedoch auf ihren Ausnahmecharakter hinzuweisen.

Eine Beziehungsgeschichte der KZ und der ‚Volksgemeinschaft‘ im Nationalsozialismus bleibt noch zu schreiben. Studien wie die zu Dachau, Buchenwald und nun auch Oranienburg/Sachsenhausen legen hierzu bereits wichtige Grundlagen und mögen Anregung für weitere solcher Arbeiten sein. Eine über das einzelne Lager und seine Umgebung hinausgehende Monographie jedoch bleibt notwendig. In ihr müsste beispielsweise auch das Leben der entlassenen Häftlinge in der Gesellschaft eine Rolle spielen, wenn dies auch schwieriger in den Quellen zu fassen sein dürfte. Dieser Bereich bleibt bei Bonnesoeur und anderen fast zwangsläufig ausgeblendet. Die Studie von Frédéric Bonnesoeur liefert einen soliden und wichtigen Beitrag zu einer Beziehungsgeschichte der Konzentrationslager im ‚Dritten Reich‘.