Dorpmüllers Reichsbahn
Die Ära des Reichsverkehrsministers Julius Dorpmüller 1920-1945

Wer häufiger mit der Bahn reist und einen Blick auf das Angebot in den Bahnhofsbuchhandlungen wirft, stellt schnell fest: Bücher über die Eisenbahn gibt es zuhauf, meist allerdings beschränkt auf techniklastige oder nostalgische Werke über Dampflokomotiven oder dergleichen. Das gilt auch und vor allem für die Zeit des NS-Regimes. In der Historiographie hat man dieses Thema lange Zeit vernachlässigt. Umso begrüßenswerter ist, dass Alfred Gottwaldt vom Deutschen Technikmuseum in Berlin in letzter Zeit mit gleich drei Werken zu unterschiedlichen Aspekten der Verkehrs- und Eisenbahngeschichtete aufwartete.
Reichsbahn und Reichsverkehrsministerium zeichneten sich, das machen alle drei Publikationen deutlich, durch ein hohes Maß an personeller Kontinuität aus ' die führenden Funktionäre versahen mit ganz wenigen Ausnahmen ihre Posten bruchlos über 1933 hinaus. Das zeigt sich vor allem, aber nicht nur, in Julius Dorpmüller, der zentralen Figur der deutschen Eisenbahngeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er steht im Mittelpunkt der überaus reichhaltig und interessant illustrierten großformatigen Darstellung über 'Dorpmüllers Reichsbahn'. Seit 1920 die Reichsbahn entstanden war, füllte er wichtige Funktionen in ihr aus; ab 1926 war er Generaldirektor der Reichsbahn-Gesellschaft und sah als solcher zahlreiche Reichsverkehrsminister kommen und gehen, bevor er 1937 selbst Minister wurde. Als Generaldirektor blieb er 1933 im Amt, obwohl etwa die nationalsozialistischen Reichsbahnbeamten im Juni 1933 auf einer großen Demonstration neben 'Hinaus mit den Juden' auch die Forderung 'Fort mit Dorpmüller' propagierten. Er versah seinen Dienst denn auch durchaus regimekonform. Zum Beispiel wandte Dorpmüller in der Reichsbahn auch den 'Arierparagraphen' des 'Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' an, wodurch Juden ihre Stellen verloren. Das und anderes tat er, obwohl die Reichsbahn keine Reichsbehörde war und somit nicht unter dieses Gesetz fiel.
Auch im Reichsverkehrsministerium herrschte Kontinuität, seit 1932 wurde es vom selben Minister geleitet. Das tat der Umsetzung antijüdischer Maßnahmen keinen Abbruch, diese wurden vielmehr geräuschlos und effektiv vollzogen, wie Gottwaldt gemeinsam mit Diana Schulle in ihrem als Buch veröffentlichten Gutachten im Auftrag des Bundesverkehrsministerium herausarbeiten. Erstmals legen sie eine, wenn auch schmale, Studie über die antijüdische Politik des Ministeriums vor, bei der sie nur auf Aktensplitter des Ministeriums zurückgreifen konnten. Dennoch gelingt ihnen eine fundierte Organisationsgeschichte. Vor allem beleuchten sie auch mit Aspekten wie etwa der Beteiligung an der 'Arisierung' Kapitel, die bislang im Dunkeln lagen.
All dies ' schmale Aktenüberlieferung und wenig Forschung ' trifft auch auf den Gegenstand des dritten und neuesten Buches zu, der Studie über 'Eisenbahner gegen Hitler'. Dieser Befund erstaunt doch sehr angesichts der bereits unmittelbar nach Kriegsende einsetzenden Forschung zum Widerstand gegen das NS-Regime, die inzwischen hoch spezialisiert ist. Gesteigert wird diese Verblüffung noch dadurch, dass eine Organisation mit 1937 rund 700.000 Mitarbeitern, im Krieg waren es über eine Million, fast vollkommen ausgeblendet wurde.
Dabei waren es gerade die Reichsbahn und ihre Mitarbeiter, die vielfältige Ansatzpunkte für Widerstand boten. Immerhin gelangten zahlreiche Eisenbahner ins Ausland und konnten als potentielle Kuriere oder Informationsbeschaffer dienen. Überdies war die Eisenbahn das Herz der Kriegs-, aber auch der Mordlogistik und als solches anfällig bzw. ideales Ziel für Sabotageakte. Gottwaldt und seine Ko-Autoren nähern sich dem Thema überwiegend biographisch. In zahlreichen biographischen Porträts werden verschiedene Aspekte wie Widerstand von ehemaligen Gewerkschaftern, Verbindungen ins Ausland, Solidaritätsakte mit Juden etc. behandelt. Eingebettet ist dies in eine chronologische Analyse der Entwicklung.
Damit erfährt der Widerstand Weniger in einer zentralen Organisation endlich eine Würdigung und zugleich eine seriöse Erforschung, die ihm in beiden deutschen Staaten nach 1945 allzu lange verweigert wurde.
Alfred Gottwaldt, Diana Schulle und andere haben mit diesen und früheren Publikationen einen wichtigen Beitrag nicht nur zur Geschichte der Eisenbahn im 20. Jahrhundert geleistet, sondern auch zu Themen wie dem Übergang von der Demokratie zur Diktatur, zur Verfolgung und Ermordung der Juden sowie schließlich auch zum Widerstand gegen das Regime. Zu wünschen bleibt, dass auch und gerade diese Bücher in die Bahnhofsbuchhandlungen kommen und einem breiteren Leserkreis einen anderen Zugang zur Eisenbahngeschichte bieten.