Zwischen den Stühlen
Alltagsnotizen eines Christen in Israel und Palästina

Das Buch gliedert sich in folgende Kapitel: 1. Zwischen Jüdinnen und Juden; 2. Zwischen Vergangenheit und Zukunft; 3. Zwischen Christinnen und Christen; 4. Zwischen Juden und Palästinensischen Christen; 5. Zwischen anderen Religionen; 6. Zwischen jüdischen und palästinensischen Israeli; 7. Zwischen Israeli und Palästinensern; 8. Zwischen Israeli und seinen Nachbarn im Krieg; 9. Zwischen den „Freunden Israels“ und den „Freunden Palästinas“. In dieser Gliederung wird schon deutlich, dass die Menschen in Israel/Palästina hinsichtlich der Staatszugehörigkeit, der Religion und schließlich auch der Ethnien nach unterschieden werden. Das Buch enthält etliche Seiten an Fotografien, auf die im Text verwiesen wird und die dazu dienen, die Aussagen des Vf. zu belegen. Am Ende des Werkes, in einem Anhang, findet sich eine Predigt des Vf. zu Röm 11,25-32 sowie das „aktuelle Studienprogramm Nes Ammims“ (S. 148).

Die in den Kapitelüberschriften angesprochenen Unterscheidungen der dort lebenden Menschen machen „die Sache“ nicht gerade einfach. „Die Sache“, das ist die Frage nach dem Zusammenleben der verschiedenen Gruppen, das ist die Frage danach, wie es zu einer Versöhnung und zu einem friedlichen Zusammenleben kommen könnte. Es ist aber auch die Frage nach dem eigenen Standpunkt, danach, für Israel oder die Palästinenser, für Juden, Muslime oder Christen Stellung zu beziehen, und dies obendrein mit der Maßgabe, dass es „die“ Juden, „die Muslime“ und „die Christen“ nicht gibt. Stattdessen gibt es die chassidischen Juden verschiedener Schulen und Richtungen, säkulare Zionisten, religiöse Siedlerbewegungen u.a., ganz abgesehen von den Interessen, Richtungen und Koalitionen in der Regierung des Staates Israel. Ganz ähnlich lässt sich bei den Christen unterscheiden zwischen diversen evangelikalen Strömungen mit mehr oder weniger missionarischen Aktivitäten gegenüber Juden, messianischen Juden und Judenchristen amerikanischen oder europäischen Ursprungs, zwischen Orthodoxen, Baptisten, Lutheranern, Reformierten Katholiken etc.

Angesichts einer derartigen Diversifikation kann es tatsächlich nur eines geben: Zwischen allen Stühlen zu sitzen. Gleich welcher Meinung man ist: Irgendjemandem tritt man immer auf die Füße. Entsprechend schwierig ist es, darüber ein Buch zu schreiben, und so handelt es sich hier um sehr individuelle Alltagserfahrungen des Autors, die er so erlebt hat und bei denen es kein „richtig“ oder „falsch“ geben kann. Im Großen und Ganzen muss man sagen: Wenn man Israel/Palästina etwas besser kennengelernt hat als nur in den obligatorischen acht bis zwölf Tagen einer „Pilgerreise“ mit täglichem Wechsel der „heiligen“ Orte, kann man viele der vorgelegten Positionen und Erfahrungen sehr gut nachvollziehen. Freilich hält Rez. es nicht für angebracht, über die 10-Tage-Pilger, oder die von ihm so bezeichneten „Pilger im eiligen Land“ zu spotten (S. 42). Natürlich gibt es hier auch (zu) viele Fehlformen, ebenso wie es richtig schlechte und gute Krippenspiele gibt (S. 40; vgl. Dorn, Klaus/Möller, Silvia: Wir haben seinen Stern gesehen. München 2011), aber so manchem Israelfahrer bieten sich eben keine anderen Möglichkeiten, als derartige Pilgerfahrten. Nur wenige haben das „Glück“ in Nes Ammim zu leben und dort, an der Basis, Begegnungen zwischen „Feinden“ zu ermöglichen. Schlimm daran ist eigentlich nur, dass mancher nach einer solchen Reise dazu neigt, seine eigenen Erfahrungen absolut zu setzen. Dann ist der Israeli, der sich unendlich Zeit bei Ein- oder Ausreise lässt der unsympathische „Jude“ und der aufmerksame palästinische Kellner im Restaurant der sympathische Araber oder auch, bei manch einer Gelegenheit, umgekehrt. Und dabei weiß der Betreffende noch nicht einmal, ob sein (un-) freundliches Gegenüber Jude oder Araber war, Christ, Jude oder Moslem.

Unter dem Stichwort „Nes Ammim“ kommt Vf. zum „Werbeblock“ seines Buches. Es ist der Ort, an dem der Autor lebt und wirkt. Nes Ammim, Zeichen der Völker, ist der Name eines Dorfes, „ein Ort, an dem Menschen den Dialog der Religionen einüben können“ (S. 59), ja in dem sich Menschen überhaupt erst einmal begegnen können. Dort kann ein Palästinenser, der sich niemals mit einem Israeli auf dessen „Gebiet“ treffen würde, einem Israeli, der niemals auf Palästinensergebiet gehen würde, begegnen und gleichzeitig auch noch einen Christen kennenlernen. Die Bedeutung und Wirkung von Nes Ammim ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, aber wie gesagt: Es ist nicht jedem gegeben, sich dort persönlich zu engagieren.

Insgesamt wird in diesem Buch deutlich, dass jede Parteinahme für die eine oder andere Gruppe immer zugleich ein „aber“ enthalten muss, in dem die jeweils andere Seite mit ihren Argumenten zu Wort kommen muss. Jede Verabsolutierung und jede einseitige Parteiname stellt von vorneherein eine Verkürzung der Problematik dar: „Schief wird die Sachlage dadurch, dass beide Parteien [jüdische wie palästinensische] jeweils den Opferstatus allein für ihre Seite beanspruchen, und ohne jedes Wenn und Aber die andere Seite zum Aggressor erklären. Die einen sehen die Palästinenser allein als Opfer Israels, ohne zu fragen, inwieweit Palästinenser auch Opfer von Palästinensern sind, also Palästinenser auch Täter sein können. Und die anderen reklamieren die Opferrolle allein für Israel. Dabei verharmlosen sie die Gewalt, die von der Besetzung und Abriegelung Gazas und der Westbank ausgeht, lediglich als Verteidigungsmaßnahmen“. (S. 132)

Am Schluss möchte der Rez. darauf hinweisen, dass es sich bei den „Kreti und Pleti“ im Kontext des Putsches von Salomo - um einen solchen handelt es sich nämlich - nicht um „die kleinen Leute“ handelt, sondern um die Leibwache Davids, die Salomo auf seine Seite ziehen kann. Salomo bedient sich gewissermaßen der „Prätorianergarde“ um auf den Thron zu gelangen (S. 54).

Es trifft ferner nicht zu, dass das Judentum nie Mission betrieben hat (S. 64). Dagegen spricht schon Mt 23,15.

Und schließlich kann man ja zur Palmsonntagsprozession stehen wie man will, sie aber als „Spektakel“ zu bewerten und in Beziehung zum Kölner Faschingszug zu setzen, zeugt nicht unbedingt von Fingerspitzengefühl. Sitzt hier der Vf. auch zwischen den Stühlen von Protestanten einerseits und Katholiken/Orthodoxen andererseits? Diese Prozession in Jerusalem hat ungeachtet ihrer politischen Dimension, unter der sich Vf. dann letztlich der Prozession auch anschließt, auch eine religiöse und emotionale und macht deutlich, dass Glaube auch etwas mit Sehen, Anfassen, Symbolik und gemeinsamer Erfahrung zu tun hat. Der Spruch von M. Luther zur Jakobuswallfahrt nach Santiago de Compostella, der sinngemäß lautet: „Mag dort ein Hund oder ein totes Ross begraben sein – du aber bleib zu Hause“  mag angesichts in seiner Zeit überhand nehmender Pilgerströme unter zweifelhaften Motiven berechtigt gewesen sein. Es sollte dabei aber nicht übersehen werden, dass „Events“ wie eine Wallfahrt oder Prozession so etwas wie eine einigende, verbindende und den Glauben vergewissernde Funktion zukommt.

Trotz dieser Petitessen: Der Vf. stellt die konfliktgeladene Situation in Israel/Palästina ausgesprochen ausgewogen dar und sitzt damit zwangsläufig zwischen (allen) Stühlen. Das Buch ist jedem zu empfehlen, der sich über die Problematik in Israel/Palästina Gedanken macht und erst recht jedem, der meint, eine Position für die eine oder andere Seite beziehen zu müssen.