Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“
Zu einem Dialog unter Abwesenheiten

Vor nunmehr fünfzehn Jahren hat Heinrich Meier, der Herausgeber der Werke Leo Strauss‘, aufgezeigt, auf welche Weise Carl Schmitt auf die „Anmerkungen“ von Leo Strauss zu seinem Begriff des Politischen reagiert hat – durch stillschweigend vorgenommene Änderungen am Text, durch Präzisierung einiger Aussagen, durch Auslassung und Änderung von Formulierungen. Das Verdienst, Strauss‘ Text und seine Briefe an Schmitt nicht nur ediert, sondern zugleich in ihrer Bedeutung für Schmitt selbst hervorgehoben zu haben, ist dem Autor sicherlich nicht zu nehmen.

Eine ‚einfache‘ Neuauflage seiner Abhandlung, wie sie hier vorliegt, ist trotzdem ein wenig enttäuschend. Sicherlich ist Meiers Kernthese, das systematische Zentrum der Überlegungen Carl Schmitts sei dessen „Politische Theologie“, mittlerweile in der Schmitt-Forschung ‚angekommen‘ und wird dort kaum mehr hinterfragt – weswegen man die aus manchen Zeilen herauszuhörende Genugtuung des Autors über diese Art der Anerkennung seiner Arbeit zwar nicht goutieren muss, aber doch ertragen kann. Was aber sowohl in der zweiten als auch in der hier vorgelegten dritten Ausgabe fehlt, ist eine ernsthafte Auseinandersetzung des Autors mit seinen Kritikern: eine summarische Ansammlung einzelner kritischer Formulierungen ohne jeden Nachweis, wer dies mit welchen Gründen behauptet hat (159, 168), und mit dem Verweis, das alles sei ‚natürlich‘ falsch, ist wohl kaum ausreichend.

Zumal Meiers Abwertung der Unterscheidung der Feindbegriffe Carl Schmitts, die dem Autor zufolge unwichtig ist (34, vgl. aber 178), auf dieser Hervorhebung der „Politischen Theologie“ als „Zentrum“ fußt. Allerdings scheint Schmitt in seiner Theorie des Partisanen die Unterscheidung zwischen „wirklichem“ und „absoluten“ Feind einzuführen, um Folgendes zu zeigen: Die auf existentiellen Unterschieden beruhende „wirkliche“ Feindschaft zwischen zwei Akteuren führt zwar mit Notwendigkeit zum Kampf, aber sie muss nicht dazu führen, dass man den Feind vernichtet – dies tut man nur im Modus „absoluter“ Feindschaft. Man beachte die Johanna von Orleans von Schmitt in der Theorie des Partisanen zugeschriebene Behauptung, sie wisse nicht, ob Gott die Engländer hasse, sie wisse nur, dass sie aus Frankreich vertrieben gehörten. Im Übrigen sind, spätestens seit dem von Reinhard Mehring herausgegebenen „kollektiven Kommentar“ zu Schmitts Begriff des Politischen (Berlin: Akademie-Verlag 2003), auch hier andere Perspektiven in der Forschung diskutiert worden.

Auch hätte man sich gewünscht, dass der Autor zumindest jene Teile der Forschung wenigstens anspricht, die für den Gang seiner Argumentation (und seine Rekonstruktion des „Dialogs“) wichtig wären. Meier erschließt sich den Zugang zu diesem Dialog und zu den Positionen der beiden Dialogpartner unter anderem über deren unterschiedliche Hobbes-Auslegung (39-45). Zwar deutet er an, dass insbesondere von Schmitts Auslegung mehr über Schmitt als über Hobbes zu lernen ist (61), aber Strauss‘ Hobbes-Interpretation wird keiner ernstzunehmenden Kritik unterzogen (197). Dank der Beiträge in dem von Rüdiger Voigt herausgegebenen Band Der Hobbes-Kristall. Carl Schmitts Hobbes-Interpretation in der Diskussion (Stuttgart: Steiner 2009) ist hier allerdings auch die Strauss- wie die Schmitt-Forschung mittlerweile weiter (was für das Gros der Hobbes-Forscher ohnedies gilt). Hier wäre denn doch wenigstens eine Anmerkung wünschenswert gewesen, denn wenn beide Dialogpartner ihre Position aus einer Hobbes-Lektüre begründen, die der Kritik nicht standhält, dann könnte dies durchaus Folgen für die Stichhaltigkeit ihrer eigenen Positionen haben. Eine Fußnote mit einem Zitat der von beiden herangezogenen Aussage Hobbes‘ und dem bedeutungsschwanger daher kommenden Nachsatz Meiers: „Beachte den Kontext bei Hobbes.“ (67), kann hier schwerlich reichen.

Wer die zweite Auflage bereits sein eigen nennt, der wird hier folglich wenig Neues außer einer Chronologie des „Dialogs“ finden (193-4) – es sei denn, man sucht einen peniblen Nachweis der seit der letzten Auflage erschienen Übersetzungen (168 f.). Zwar lässt Meier hier durchblicken, dass er sich wie andere Straussians auch der Methode des ‚Meisters‘ bedient hat, eigene Positionen im „Gewand einer historischen Studie“ (191) zu formulieren (d.h. im Grunde zu verschleiern bzw. ‚straussianisch‘ formuliert: ‚zwischen den Zeilen‘ für ‚die Eingeweihten‘ zu verstecken), aber der Pro-Strauss-bias dürfte dem aufmerksamen Leser wohl auch so nicht entgangen sein.

Die eingangs erwähnten unbestrittenen Leistungen dieser Abhandlung mildert dies nicht. Aber die Möglichkeit, sich noch einmal wirklich explizit zu äußern und die eigenen Thesen ernsthaft der Kritik auszusetzen, wurde verschenkt.