Macht und Ohnmacht der Sprache
Philosophische und psychoanalytische Perspektiven

Der Sammelband ist eine Hommage an die Sprache, nicht an irgendeine Sprache, sondern an die menschliche Sprache an sich, an das menschliche Vermögen zu sprechen. Immer wieder geht es dabei um die Funktionen der Sprache, um ihre Funktion zur Erkenntnis und zur Darstellung, zur Hervorbringung und zur Gestaltung der Welt, zur Interaktion und Kommunikation mit anderen, zur Gemeinschaftsbildung, zur Sinnbildung und Sinnstiftung und zum Verstehen. 'Sprechend beziehen wir uns auf die Dinge, auf andere Menschen und auf uns selbst; über Sprache dringen wir forschend in die Welt ein, sprechend vollziehen wir Handlungen, konstruieren wir Geschichten und begründen Institutionen, im Gespräch verständigen wir uns mit Fremden. Fast alles, was der Mensch tut, vermag er durch die Sprache. Sie scheint alles zu umfassen, nichts scheint ihr entzogen.' (Angehrn/Küchenhoff 7). Sie dient der Komplexitäts- und Kontingenzreduktion, ermöglicht Kontinuität und ist das wichtigste Ordnungssystem des Menschen (Stoellger 98).

In der Einleitung heißt es (7): 'Sprache ist für den Menschen das Grundlegendste und zugleich das Höchste; ihre Erörterung umfasst das Ganze des menschlichen Seins. Sie ist unhintergehbar und unüberschreitbar, der Mensch kann nicht aus ihrem Raum heraustreten, weder hinter sie zurück noch über sie hinaus gelangen.' Die vorgelegten Aufsätze beschreiben folglich nicht nur Sprachliches, sie behandeln vielmehr den Menschen in seinem Sprechen und seinem Schweigen, letztlich in seinem sprechenden und verstummenden Sein. Den Herausgebern Emil Angehrn und Joachim Küchenhoff ist es gelungen, in diesem Buch zwölf interdisziplinär ausgerichtete Beiträge zu versammeln, die das Unhintergehbare und das Unhinterschreitbare, das 'Spannungsverhältnis zwischen dem, was Sprache kann und leistet, und ihrem Unvermögen, ihren Grenzen' (7), eben Macht und Ohnmacht der Sprache auszuloten. Der Blick auf menschliches Sprechen und Sein ist unterschiedlich motiviert, einmal sozialwissenschaftlich (Ilka Quindeau), einmal theologisch (Philipp Stoellger), einmal literaturwissenschaftlich (Ralf Simon), zumeist aber philosophisch (Emil Angehrn, Christoph Demmerling, Miriam Fischer, Tilo Wesche) und psychoanalytisch (Jutta Gutwinski-Jeggle, Joachim Küchenhoff, Hermann Lang, Rolf Peter Warsitz).

Zunächst stehen die Erkenntnispotentiale im Focus der Untersuchungen, so bei Demmerling, der die Frage nach den Begriffen stellt, inwieweit diese Voraussetzung für das Erkennen und Verstehen sind. Im Anschluss an eine Diskussion des Begriffsbegriffs fordert er eine Erweiterung desselben und plädiert für eine 'nichtlingualistische Version der Begrifflichkeitsthese', nach der auch manche Tiere über Begriffe verfügen können.

Tilo Wesche geht es um den 'Zusammenhang von Politik und Sprache im Hinblick auf den Begriff der Kritik' (55). Seine Leitthese ist, dass der Sprache eine Sonderstellung für das Praktischwerden der Kritik zukomme, indem sie ein Medium bildet, welches eine Offenheit für sie mit erzeugt und ermöglicht, dass die Kritik ihren Adressaten auch erreicht'.

Emil Angehrns grundsätzlicher Beitrag zur 'Sprachlichkeit der Existenz' zeigt an den Leitbegriffen 'anthropologische Differenz', 'Fundamentalität', 'Universalität', 'existentielles Bedürfnis' den besonderen Stellenwert der Sprache im menschlichen Leben auf. In der anthroplogischen Differenz geht es nicht nur um Sprache als das klassische Unterscheidungsphänomen zwischen Mensch und Tier, sondern auch um die damit verbundene besondere Art der menschlichen Gemeinschaftsbildung mit ihren Ausdrucksformen zum Beispiel in der Justiz. Über die 'Fundamentalität der Sprache' schreibt Angehrn, sie sei 'die Fundamentalität des Sinns'. Denn: 'Menschliche Existenz ist immer schon verstehend; Menschen leben so, dass sie je schon sich und die Welt in bestimmter Weise auffassen und interpretieren' (51). Menschen nutzen aber auch Sprache, weil sie eine unbegrenzte Reichweite besitzt, und dies nicht nur, wie in Gullivers Reisen von Jonathan Swift beschrieben wurde, weil man an jedem Ort der Welt über den Himalaya reden kann, ohne ihn dazu herbeischleppen zu müssen. Menschliches Sprechen ist auch nicht nur deshalb ein existentielles Bedürfnis, weil es den Menschen zu anderen Menschen und zur interaktiven Gemeinschaft mit ihnen führt, ihm Erkenntnisse vermittelt und Sinnstiftung, ihm sogar den Zugriff auf Abwesendes und Unbegreifliches erlaubt, sondern es führt ihn am Ende auch zu sich selbst zurück: 'das Bedürfnis des Menschen, sprechen zu können, ist zuletzt nichts anderes als sein Wunsch, zu verstehen. Den [sic] letzten Fluchtpunkt dieses Sinnverlangens ist das Sichselbstverstehen: Sprache ist dann Medium nicht nur der Welterschließung und der Kommunikation mit anderen, sondern des Sichverständigens über sich selbst; Sprache ist Grund und Horizont des Selbstseins' (53).

Für den Theologen Stoellger ist 'die Lehre vom Wort Gottes ' eine Theorie von der Macht der Sprache ' auf dem Umweg über die Reflexion auf das Wort Gottes' (86). Er schreibt vom Welterzeugungspotential der Sprache, die aus menschlicher Perspektive sogar das Potential Gottes übertrifft. Stoellger will jedoch keinen Monotheismus der Sprache, er zeigt nur das außerordentliche Potential und damit auch die Macht, die im menschlichen Sprechen begründet liegt: 'Zur Macht der Sprache gehört die ihr eigene Möglichkeit, Möglichkeiten (reale und irreale), also auch Unmöglichkeiten (negative und eröffnende) 'zur Welt zu bringen'' (101). Sie ist die Möglichkeitsbedingung des Mit-Seins (102) und der Vergemeinschaftung wie es im Abendmahl vorgeführt wird. Doch vor allem ist sie Deutungsmacht (109) im wörtlichen wie im übertragenen Sinne.

Von den Potentialen zu den Grenzen, von der Macht zur Ohnmacht des Sprachlichen sind die Übergänge fließend. Dies zeigt auch Joachim Küchenhoffs Beitrag. In 'Das psychoanalytische Gespräch als Austausch von Worten oder als Gabe' versteht er die psychotherapeutische Behandlung als einen interaktionistischen Sprachraum, als Zone der Unbestimmtheit, in der Worte gefunden werden können, die aus der traumatisierten Sprachlosigkeit zurück zu den sprechenden Anderen führen. Küchenhoff macht dabei deutlich, dass dieses scheinbar Defizitäre, das Ohnmächtigsein, letztlich zum Ausgangsort von Kreativität und Potential wird: 'Der Mangel an Sprachlichkeit, die Unmöglichkeit, die frühen Erfahrungsbereiche auf einen sprachlichen Punkt zu bekommen, ist die Wurzel der Kreativität. Denn dieser Mangel führt zu einem Bedürfnis und auch einer Notwendigkeit weiter zu sprechen, der Mangel der Sprache wird zur Stärke der Erzählung, der Mangel an Bestimmtheit wird zu einer Freiheit der Neubestimmung und der neuen Entwürfe' (134).

Auch Miriam Fischer thematisiert die Grenzen des Sprachlichen. Entlang von Celans Gedichtzeile 'Die Welt ist fort, ich muss dich tragen', die Jaques Derrida zum Leitfaden seiner Grabrede zu Ehren Hans Georg Gadamers gemacht hat, stellt sie den Sprachverlust als Weltverlust und die jeweils unterschiedlichen Antworten der beiden Philosophen ins Zentrum ihrer Ausführungen. Wo Gadamer auf die Heilung durch die Wiedererlernung des Gesprächs hofft, postuliert Derrida, dass Grenzerfahrungen wie der Tod das Verstehen letztlich unmöglich machen. Trost und Hilfe sei dann nur noch im literarischen Sprechen zu finden. Miriam Fischer schließt sich Derrida an. 'Das Gedicht würde die verlorene Welt nicht wieder herstellen und somit keine Heilung (im Sinne von Wiedergutmachung) bewirken, doch es könnte das Aussetzen der Welt, den Verlust der Sprache, die Erfahrung der Grenze (des Verstehens) selbst darstellen.' Denn, so schreibt sie weiter: Das Gedicht, 'es trägt, wenn die Welt fort ist' (152).
Nicht mit einem Gedicht, aber mit einem Zitat aus Shakespeares Hamlet führt Hermann Lang in das Thema seines Beitrags ein: ''Give sorrow words...'. Zu Ort und Funktion der Sprache in Neurose, Psychosomatose und Psychose.' Wenn Psychotherapie gelingen soll, muss sich die Erinnerungs- und Verbalisierungsarbeit, das Zur-Sprache-bringen des Belastenden und Bedrängenden, 'im Rahmen einer zwischenmenschlichen Beziehung, im Gespräch' vollziehen' (164). Dabei hilft der verständnisvolle Gesprächspartner über die verbale wie emotionale Sprachlosigkeit, die isolierende, für den Anderen zunächst unverständliche Privatsprache und die daraus resultierende Kommunikationsstörung hinweg. Sprachhemmung und Sprachschwierigkeiten sind symptomatischer Ausdruck für die jeweiligen Störungen, beim Neurotiker die Freudschen Versprecher, beim 'psychosomatisch Erkrankten der alexithyme Sprachmodus der Schwierigkeit Gefühle mit Worten auszudrücken' (169). Helmut Lang beschreibt zuletzt die besondere Sprache des Psychotikers, dessen 'Unfähigkeit, Worte und Dinge zu trennen' und daraus resultierend das Versagen der Symbolfunktion: 'An die Stelle des Sagens des Symbols tritt die konkretistische Handlung.' Die Funktion von Sprache als Symbolisierungssystem verrate aber nicht nur die mehr oder minder pathologischen Störungen, sie schaffe nicht nur Gemeinschaft und Kontakt mit anderen, sie biete auch eine Art Stoßdämpfer an, der vor der Reizüberflutung durch eine kaum erträgliche Unmittelbarkeit schützt.

Jutta Gutwinski-Jeggle stellt die Hegemonie des Wortes anhand von Freuds Diktum, 'in der analytischen Behandlung geht nichts anderes vor als der Austausch von Worten' an einem Fallbeispiel und den dort zum Gegenstand gemachten Bildern (Film- wie Sprachbildern) in Frage. Sie zeigt 'wie Metaphern und Filme als Ersatzcontainer dienten' (208), als 'Hinweise auf eine sprachlos unbewusste innere Welt' (209), die durch eine reziprok über alle Zeichensysteme (Bild und Text) verlaufende unendliche Semiose stetig verändert und beeinflusst wird. Diese innere Welt ist also lebenslang im Wandel, oder wie Gutwinski-Jeggle schreibt: 'Das Netzwerk eines semiotischen Denk- und emotionalen Bedeutungssystems differenziert sich lebenslänglich. Während es sich einerseits immer abstrakter begrifflich verfeinert, muss aber der Kontakt zum sinnlich/anschaulichen Ursprung erhalten bleiben' (208).
Ilka Quindeaus Beitrag handelt von der Erzählbarkeit traumatischer Erfahrungen, vom Dilemma des Sprachlosseins durch das Unfassbare und letztlich Unbeschreibliche des Holocausts und der Notwendigkeit, genau dieses dennoch vor Gericht glaubwürdig erzählen zu müssen bzw. Zeugnis davon abzulegen, ohne es zum Narrativ zu nivellieren. Mit welcher Sprache kann das Unsagbare erzählt werden, wenn die Sprache selbst unglaubwürdig geworden ist oder gerade autobiographische Erinnerungen als Konstrukte angesehen werden? Das Bedürfnis, Zeugnis abzulegen, kollidiert mit der verlorenen Beweisfunktion der Sprache (224), sodass am Ende sogar die Glaubwürdigkeit der Zeugen zur Disposition steht. Auf die Frage  'Wie lässt sich eine Erinnerung von einer Fiktion, von einer Phantasie unterscheiden?' (225) plädiert die Autorin für ein tieferes Verständnis und für die gutachterliche Berücksichtigung koenästhetischer Erinnerungen (227), also für das Aufweisen von sprechenden Körpererinnerungen.
Auf die Leiblichkeit verweist auch Rolf Peter Warsitz. Mithilfe der pragmatischen Sprachphilosophie von Charles S. Peirce lotet er in seinen Ausführungen den Raum der Semiose aus, um am Beispiel von Reverie und Prosodie zu zeigen, dass der 'psychoanalytische Diskurs' nicht nur 'den Text des Gesprochenen, das Narrativ bzw. die semantischen Gehalte dieses Dialogs [umfaßt], sondern ' in einem komplexen Zeichenaustausch den Körper und die Affekte einschließlich ihrer unbewußten Manifestationen [einschließt]' (233).

Ralf Simon schließlich stellt sich in seinem Beitrag 'Ikonische Prädikation und spekulativer Satz. Überlegungen zum Verhältnis von Prädikation und Bild' gegen ein Gegensatz- bzw. Ausschlussverhältnis von Sprache und Bild und begründet dies mit der These, dass die Bestimmung, die die Prädikation vornimmt, die 'gemeinsame Wurzel von Satz und Bild' sei (266). Mithilfe des Aktantenmodells von Greimas (Subjekt vs. Objekt; Adressant vs. Adressat; Adjuvant vs. Opponent) beschreibt er die Kernerzählung als das 'eigentliche Universal der Sprache' (263). Der Satz in ihr sei die Kondensierung des Narrativen (265) und die 'Verdolmetschung des Satzes zum Bildbegriff macht deutlich, dass es gerade die Prädikation ist, welche als qualifizierendes Schema die Vorstellung zum Bild bestimmt' (265).
Sammelbände sind für Rezensenten immer eine Herausforderung. Diese besteht in der Vielzahl und der Vielfalt der zu berücksichtigenden Aspekte, der Anzahl der Beiträge und der Beiträger, der möglichen qualitativen Inhomogenität der Artikel. Beim normalen Leseverhalten greift man selektiv auf einzelne Artikel zurück, übergeht die meisten anderen aufgrund geringeren Interesses. Der Rezensent jedoch muss alles lesen. Und sie hat es mit großer Begeisterung getan.

Der einzige Wehrmutstropfen am Ende betrifft die Frage, warum das Thema 'Macht und Ohnmacht der Sprache' bei aller Interdisziplinarität letztlich ohne die Sprachwissenschaft abgehandelt wurde. Die Rezensentin ahnt den Grund: Wir Sprachwissenschaftler selbst sind dafür verantwortlich, denn wir beschäftigen uns nur noch sehr, sehr selten mit dem, was Emil Angehrn als basale Funktion von Sprache begreift: 'Sprache fungiert als Medium der Artikulation, in welcher der Mensch sich seines Denkens vergewissert und sich seine Welterfahrung aneignet. Sie ist nicht äußere Einkleidung, sondern innere Gestaltung der Vorstellungen und dadurch erst konkreter Vollzug des Denkens. Ihre Kraft verwirklicht sich in der intentionalen Beziehung, als Selbstexplikation des Denkens und Erschließung der Welt. Sprache ist das Sichöffnen, in welchem die Dinge und wir selbst uns zugänglich und verstehbar werden.' (43).