Deutsches Fremdwörterbuch

Das 'Deutsche Fremdwörterbuch' (DFWB) erscheint in erster Auflage seit 1913 und war ursprünglich als Ergänzung des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm konzipiert, das als nationalpädagogisches Werk des 19. Jahrhunderts den einheimischen Wortbestand betont und die Entlehnungen aus anderen Sprachen auch in den jüngeren Bänden nur in einer kleinen Auswahl enthält. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man allerdings erkannt, dass die Sprachwirklichkeit des Deutschen nur dann abgebildet werden kann, wenn der einheimische und der entlehnte Wortschatz gleichermaßen gesammelt und erläutert werden. Ein solches Vorhaben ist jedoch in den wieder stärker sprachpuristisch geprägten Jahrzehnten der ersten Jahrhunderthälfte nicht überall auf ungeteilte Zustimmung gestoßen, durch den frühen Tod des ersten Bearbeiters Hans Schulz 1915 im 1. Weltkrieg wurde das Fortkommen des Wörterbuchs zudem schon in der Anfangsphase erschwert; die Publikationsgeschichte spiegelt die Probleme auch vergleichbarer lexikographischer Langzeitunternehmen. Es gehört zu den großen Verdiensten des Mannheimer Instituts für deutsche Sprache, dass dieses bedeutende kulturgeschichtliche Vorhaben dort 1972 eine neue Heimat gefunden hat und bis 1983 in insgesamt sieben Bänden zu einem vergleichsweise zügigen Abschluss kam. Es wurde dann aber schnell deutlich, dass die ersten Bände, die von Hans Schulz (A'K) und Otto Basler (L'Q) zwischen 1910 und 1972 angefertigt wurden, zwar zu ihrer Zeit gute Wörterbücher waren, den heutigen Ansprüchen und Möglichkeiten der lexikographischen Forschung und der Quellenauswertung aber nicht mehr genügen können. Schon der Umfang der einzelnen Bände machte dies offenkundig. So wurde 1990 in Mannheim dankenswerterweise mit der völligen Neubearbeitung der Bände A-Q begonnen.

Die Auswahlkriterien werden im ersten Band der Neuauflage offen gelegt. Solche Kriterien sind in der Regel die Summe einer Reihe von gut gemeinten Vorschlägen, die sicherstellen sollen, dass ein Wörterbuch in einem angemessenen Zeitraum erscheinen kann. Man muss auch beachten, dass die Neubearbeitung eines älteren Werks, hier insbesondere im Hinblick auf den Fremdwortbegriff, Kompromisse erfordert, die bei einer völligen Neukonzeption ver¬mieden werden könnten. Nicht aufgenommen werden im DFWB ' und das ist unstrittig ' längst integrierte und assimilierte Wörter wie 'Fenster' oder 'Nase'. Ein gewisser Spielraum scheint hier aber zu bestehen, so wird etwa das Wort Horde aufgenommen, obwohl es sicher als 'längst integriert und assimiliert' gelten kann. Es handelt sich aber hier um ein in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts entlehntes Wort, das über das Polnische und Türkische letztlich auf das Tatarische zurückgeht. Nicht behandelt werden allerdings heute ungebräuchliche Entlehnungen, was jedem schmerzlich bewusst wird, der in Texten des 17. bis 20. Jahrhunderts schwierige bis unverständliche (Fremd-)Wörter vorfindet und nach Erklärungen sucht. Ein historisches Fremdwörterbuch des Deutschen fehlt nach wie vor, aber es ist einsichtig, dass diese Aufgabe in einem gesonderten Wörterbuch angegangen werden muss. Nicht bearbeitet werden aber auch Neologismen seit etwa 1980, wohl weil man deren kommunikative Haltbarkeit 1990 noch nicht übersehen konnte. Auch hier sollte man aber im Zweifel großzügig aufnehmen, so vermisst man doch etwa Aids im ersten Band der Neubearbeitung. Auch Exotismen ('fremde Wörter für fremde Dinge') fehlen, etwa 'Iglu' und 'Kolchos'; wenn sie jedoch in einer übertragenen Bedeutung vorkommen können, etwa im Falle von Bumerang, werden sie aufgenommen. Eigennamen und Bezeichnungen zum Beispiel für Pflanzen sind ausgeschlossen, ebenso Fachbegriffe. Man könnte sich hier gesonderte Fach-Wörterbücher vorstellen, die es für die deutsche Sprache (mit Ausnahme des 'Deutschen Rechtswörterbuchs' ebenfalls nicht gibt. Warum aber z.B. 'Akupunktur' oder 'Anorak' fehlen, bleibt mir unklar.

Es entsteht folglich ein Auswahlwörterbuch, eine Sammlung von Beschreibungen kulturgeschichtlich wichtig gewordener Entlehnungen in die deutsche Sprache. Betrachtet man auf dieser Grundlage die fertigen Bände A bis H der Neubearbeitung, so steht man vor einer beeindruckenden Darstellung eines überaus wichtigen Teilbereichs der deutschen Wort- und Sprachgeschichte, die zudem in ihrer Differenziertheit und Genauigkeit von Band zu Band zu¬nimmt und inzwischen einen für diese Art von Wörterbuch beispielhaften Rang erreicht hat. Positiv ist gegenüber der ersten Auflage auch hervorzuheben, dass die Bände jetzt relativ gleichmäßig und einheitlich konzeptioniert einen repräsentativen Ausschnitt des deutschen Lehnwortschatzes enthalten. Die Artikel sind wie folgt aufgebaut:
Auf einen Kopfteil mit dem Lemmaansatz, einer kurzen grammatischen Angabe und einer kurzen etymologischen Bestimmung in Zeit und Raum folgt der Beschreibungsteil, der umfassende Angaben zur Wort und Bedeutungsgeschichte enthält. Dazu gehören auch Wortfamilien- und Wortfeldbeziehungen, Kollokationen und Phraseologismen. Den Artikel schließt der Belegteil, der jedes Wort der beschriebenen Wortgruppe getrennt behandelt, also unter Homöopathie zum Beispiel die Belegteile 'Homöopathie', 'Homöopathik', 'Homöopath(iker)', 'Homöopathikum', 'homöopathisch' und 'homöopathisieren'. Was man sicherlich vermisst, sind Literaturangaben zu jedem einzelnen Artikel.

Die Artikelgestaltung wurde seit dem ersten Band der Neubearbeitung in einigen Einzelheiten modifiziert. Besonders hervorzuheben ist die einheitliche, sprachlich und inhaltlich durchkomponierte Abschlussredaktion seit Band 6, die zum einen den Rang der Artikel als 'Gemeinschaftsleistung' verdeutlicht, zum anderen aber punktuelle Schwächen der Bände 1'5 noch vor der Drucklegung ausgleicht. Wenn ein Rezensent des 2. Bandes nicht ganz zu Unrecht bemängelte, dass die 'Ausführung ' gelegentlich etwas hausbacken und schwerfällig' sei, so hat sich dies seit Band 6 grundlegend geändert. Tendenziell misslungene Artikel wie der Eintrag 'bigott', der eine gekürzte, durch zahlreiche Klammereinschübe fast unverständliche Überarbeitung des Artikels aus dem Etymologischen Wörterbuch von Wolfgang Pfeifer zu sein scheint, findet man jetzt nicht mehr. Auch die unglückliche Bezeichnung von frühneuhochdeutschen Belegen als 'spätmittelhochdeutsch' (so bei Attentat), weil man den Beleg ungeprüft dem 'Mittelhochdeutschen Handwörterbuch' von Matthias Lexer entnommen hat, das Belege bis zum Jahr 1500 enthält, findet sich in den neueren Bänden nicht mehr. Erst ab Band 6 befindet sich das DFWB auch in sprachhistorisch über das ältere Neuhochdeutsche hinausgehenden Epochen auf dem neuesten Stand der Forschung und geht in vielen Fällen noch weit darüber hinaus. Auch die Bewertung und Einordnung vieler Erstbelege ist daher jetzt viel deutlicher. In den älteren Bänden der Neubearbeitung steht man hier gelegentlich vor Rätseln, die man selbst überprüfen muss, etwa im Falle von 'disponieren' (Beschreibungsteil: 'Anfang 16. Jh.', Belegteil: '1483', aber aus dem 'Bielefelder Urkundenbuch') oder 'Eremit' (aus einer Heidelberger Lancelot-Handschrift von 1430 als Beleg für eine Entlehnung in der 2. Hälfte des 13. Jh.s und damit fast 200 Jahre vor dem Einsetzen der kontinuierlichen Überlieferung; zudem mit der unbefriedigenden Quellenangabe 'DWB N[eubearbeitung]. Man wird also in den ersten Bänden nicht in jedem Einzelfall den angeführten Erstbeleg akzeptieren können, auch weil gelegentlich in deutschsprachigen Texten zitierte lateinische oder englische Wörter als Entlehnungen vereinnahmt werden. So z.B. bei 'Abstract', wo der Erstbeleg frühestens 1974 statt 1929 anzusetzen ist. Diese Probleme weisen nicht zuletzt auf das Korpus-Problem des Wörterbuchs, denn es handelt sich im Grunde um ein offenes Korpus, das den gesamten deutschen Wortschatz in Geschichte und Gegenwart mit im Einzelfall schwer zu beurteilenden Daten zum Gegenstand hat. Es lässt sich ungefähr ermessen, über welche sprach- und kulturgeschichtlichen Kenntnisse die Bearbeiterinnen und Bearbeiter bei ihrer Aufgabe verfügen müssen.

Hinweise auf die Bearbeiter werden in der Einleitung der neueren Bände nur noch für solche Artikel gegeben, deren Bearbeiter beim Erscheinen des jeweiligen Bandes nicht mehr in der Redaktion waren. So z.B. für den wichtigen Artikel 'Holocaust', den Heidrun Kämper entworfen hat. (Dazu ergänzend Sascha Feuchert, Holocaust-Literatur Auschwitz, Stuttgart 2000, S. 5-15). Das Stichwort 'Holocaust' macht zugleich auf die außerordentlich wichtige kulturgeschichtliche Bedeutung des Wörterbuchs aufmerksam. Nennen könnte man hier auch den Artikel 'Homosexuell', der eine Fülle von Erkenntnissen bereithält, die bisher wohl noch kaum erschlossen worden sind. Dabei stößt man immer wieder auf die Bedeutung der Erstbelege für die Bestimmung des kulturellen Umfelds einer Entlehnung. Eher nicht zustimmen wird man den Bearbeitern im Falle von 'Fixer', da der vermeintliche Erstbeleg aus Alfred Döblins 'Berlin Alexanderplatz' von 1929 das Wort wohl in einer anderen Bedeutung (Hehler, Händler o.ä.) enthält, die nächsten Belege für das Verb und Substantiv zudem erst ab 1970 fließen. Er wurde daher von den Bearbeitern zu Recht nur unter Vorbehalt aufgenommen. Die hohe Qualität der Wortartikel zeigt sich aber nicht zuletzt an der immer gründlicheren Auswahl und Überprüfung der Belege für den Belegteil, dem wohl wichtigsten Arbeitsschritt. Die daraus folgende Neudatierung von Erstbelegen, die nicht selten auch zu einer Neubestimmung der Entlehnungswege führt, müsste zu einer völligen Neuerarbeitung der deutschen Wortgeschichte führen ' wenn es denn eine solche für das Deutsche derzeit überhaupt gebe. Ver¬gleicht man z.B. die Neubearbeitung des DFWB mit der letzten Auflage des Duden-Herkunftswörterbuchs, so zeigt sich in vielen Fällen, dass die Ergebnisse des DFWB gerade für die Beschreibung des älteren Neuhochdeutschen und seiner Wortgeschichten tiefgreifende Änderungen erforderlich machen. Das betrifft so gut wie alle kulturgeschichtlich wichtigen Entlehnungen des späten Frühneuhochdeutschen und älteren Neuhochdeutschen, etwa aus den Bereichen Kriegswesen, Mode und elegantes Leben, Kunst und Kultur oder Gartenbau, die Kernbestand der deutschen Wortgeschichte sind. Die Erstbelege und Entlehnungswege lassen sich nun viel genauer darstellen. Einige willkürlich herausgegriffene Beispiele aus Band 7: 'Habitus', bisher Entlehnung des 18. Jh.s, im DFWB seit dem 14. Jh. belegt; 'Hemisphäre', bisher Entlehnung des 18. Jh.s, im DFWB seit um 1300 belegt; 'Hierarchie', bisher Entlehnung des 17. Jh.s, im DFWB seit dem 13. Jh. belegt. Auch die Entlehnung von 'Hangar' und 'Hurrikan' kann immerhin deutlich vordatiert werden. Das DFWB ist auch eine Fundgrube für die Wortbildungsgeschichte, etwa bei der Auswahl von Doubletten bei Verben und Adjektiven, zu der es keine vergleichbaren Angaben in der Forschungsliteratur gibt.

Das Wörterbuch ist insgesamt also weniger ein Hilfsmittel, das zum punktuellen Nachschlagen und raschen Verständnis schwieriger Textstellen dient, sondern es ist ein kulturgeschichtliches Dokument erster Ordnung. Die Artikel sind überwiegend, in den letzten Bänden der Neubearbeitung ausschließlich, meisterhafte lexikographische Miniaturen, deren Belegteile grandiose Materialsammlungen aus dem offenen Korpus des Wörterbuchs sind. Der gelegentlich in Rezensionen zu hörende Ruf nach einer digitalen Wörterbuchversion ist wie bei allen Wörterbüchern berechtigt, ist aber für ein kulturhistorisches Wörterbuch wie das vorliegende von allenfalls nachgeordneter Bedeutung. Die Frage der Zugänglichkeit und bequemen Benutzbarkeit kann nicht höher als das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse angesiedelt werden. Nach dem Meuchelmord am Grimmschen Wörterbuch bleiben für die Beschreibung des Neuhochdeutschen jetzt das Heidelberger 'Deutsche Rechtswörterbuch', das 'Goethe-Wörterbuch' und das DFWB, die einen starken lexikographischen Schwerpunkt im deutschen Südwesten bilden. Den Mannheimer Bearbeitern ist Kraft, Geduld und Ausdauer für den Fortgang ihres wichtigen Unternehmens zu wünschen, nicht zuletzt auch möglichst viele Leserinnen und Leser.