Krieg in Norwegen

Willy Brandts Bericht über den 'Krieg in Norwegen' ist eine von mehreren verdienstvollen Neuausgaben klassischer Texte aus dem Exil, die der Europa Verlag herausgegeben hat. Das erst auf Schwedisch und 1942 auch auf Deutsch erschienene Buch ist zwar kein Klassiker vom Format der Hitler-Biografie Konrad Heidens oder Ernst Fraenkels noch heute instruktiver Analyse über den 'Doppelstaat' des NS-Regimes, aber doch ein interessanter Bericht. Dies gründet sich weniger auf den Inhalt oder die Form des Bandes, als vielmehr auf seinen Verfasser. Zudem erfährt die große Berliner Ausgabe der Schriften Willy Brandts eine Ergänzung, da dieser Text dort nicht aufgenommen wurde.

In kompakter Gestalt erhält der Leser eine nüchterne Beschreibung der militärischen Besetzung Norwegens aus der Feder eines nachträglich zum wichtigsten Exilanten gewordenen Autors. In Brandts Bericht lässt sich der damalige Wissensstand gut nachvollziehen, vor allem im Hinblick auf die Rolle Großbritanniens. Von der ersten Seite an widmet sich Brandt der Widerlegung der Behauptung, die Wehrmacht habe mit der Besetzung Norwegens auf Handlungen der Briten reagiert. Ob die deutsche Invasion letztlich nur einer britischen zuvorgekommen sei, lässt Brandt offen, hält mit seiner Skepsis aber nicht hinter dem Berg.

Ein besonderes Augenmerk richtet der im europäischen Widerstand engagierte Brandt auf die Frage nach dem Sinn des Widerstands. Wo dessen reale Wirkungsmacht relativ begrenzt war, so wie in Norwegen, räumt er diesem aber einen moralischen Sinn ein, als Signal, nicht widerstandslos besetzt worden zu sein. Die eigentliche Bedeutung der Besetzung Norwegens sieht Brandt woanders: Erst die britische Niederlage in Norwegen habe Großbritannien den Ernst der Lage und vor allem auch die Gefahr, die von NS-Deutschland ausging, begreifen lassen. 'Norwegen bedeutete', so Brandt, 'einen Wendepunkt in der englischen Kriegsführung' (S. 162).

Grundlegend Neues wird dem Leser nicht geboten, wohl aber ein unmittelbarer Einblick in den Horizont eines Teils des deutschen Exils und in das Denken eines später bedeutenden Staatsmannes.