Sprache, zur Sprache gebracht
Aufsätze zur Intentionalität sprachlichen Handelns

Ruth Römer, die am 21. Juni im 84. Lebensjahr verstarb, hat das Erscheinen dieser von ihr selbst zusammengestellten Textsammlung nicht mehr erleben dürfen. Der Band aber bleibt als Erinnerung an eine Germanistin, deren Bedeutung zu ihren Lebzeiten erst in Ansätzen erkannt wurde. Neben ihren drei Monographien ('Die Sprache der Anzeigenwerbung', 1968; 6. Aufl. 1980 ' 'Sprachwissenschaft und Rassenideologie in Deutschland', 1985, 2. Aufl. 1989 ' 'Verstand Kassandra Griechisch? ' Sprachschranken im Drama', 1999), und der Herausgabe der Leipziger Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (1950-1956) ihres Lehrers Ernst Blochs (1985), die auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Interessengruppen ansprechen, dokumentieren nun die 'Aufsätze zur Intentionalität sprachlichen Handelns', die eine Reihe teils bislang schwer erreichbarer kleinerer Texte versammeln, einen weiteren Arbeitsschwerpunkt Ruth Römers. Dem Bielefelder Aisthesis-Verlag ist sehr zu danken, dass aus ihrem Plan, den Band als Privatdruck 'für meine Freunde' herzustellen, nun ein stattliches Buch geworden ist. Es ist nicht nur die Summe eines Wissenschaftlerlebens, Zeugnis eines kritischen und lebendigen Geistes, sondern darüber hinaus auch ein Spiegel der Geschichte der Germanistik in Ost- und Westdeutschland.

Der Band enthält Aufsätze aus fünf Jahrzehnten, von ihrem ersten Text 'Was ist ein Frauenroman?' (1956), der vieles der späteren Forschung vorwegnimmt, bis hin zu 'Sprachkritischen Anmerkungen zum Historikerstreit' (1990) und einem 'Abgesang auf die Sprache der DDR' (1991). Späte, oft nur zwei oder dreiseitige Texte wie 'Wut als Tugend' oder 'Tränen um die Utopie' (1993) sind heute so aktuell wie im Erscheinungsjahr. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Auswirkungen eines ideologisch überformten und interessegeleiteten Sprachgebrauchs, wie er die Geschichte der Neuzeit ' hier beginnend mit einer scharfsinnigen Analyse von Justus Georg Schottelius' Lobreden auf die deutsche Sprache (1986) ' bis zur Gegenwart prägt. Hier fügen sich die Anzeigenwerbung ebenso ein wie Beispielsätze aus grammatischen Lehrwerken ('Grammatiken, fast lustig zu lesen', 1973) und offizielle Verlautbarungen der DDR-Administration. Der Sprachgebrauch in der DDR und die Umstände seiner Erforschung in der Bundesrepublik wurde ' vor dem Hintergrund ihrer Biographie nur zu verständlich ' zu einem ihrer Lebensthemen. Aus ihrer Kinderzeit in Dresden und den Leipziger Studien- und ersten Arbeitsjahren kannte sie die DDR und den Sprachgebrauch der SED besser als die meisten ihrer westdeutschen Kollegen. Man kann sich heute ungefähr vorstellen, dass sie sich mit Texten wie 'Weißer Schnee ' rote Matrosen. Klassifizierung sprachlicher Wirkungen' (1973) oder 'Die exotische DDR-Sprache und ihre westdeutschen Erforscher' (1988) in der Germanistik der westdeutschen 68er-Generation nur wenige Freunde gemacht hat. Aber anders als die DDR haben diese Texte Bestand.

Ruth Römers Schriften nehmen ihren Gegenstand, die Sprache, ernst und begegnen ihm daher mit größtmöglicher Sorgfalt. Daher ist es gerade auch die Rede vom 'Mißbrauch der Sprache', die sie ein Leben lang beschäftigt hat ('Gibt es Mißbrauch der Sprache?', 1970). Ruth Römers oft humorvollen, meist aber vor allem scharfen und präzisen Analysen zur Intentionalität sprachlichen Handelns sollte heute Pflichtlektüre in jedem sprachwissenschaftlichen Studium sein.

Vgl. auch den Nachruf auf Ruth Römer:
http://www.holocaustliteratur.de/fileadmin/redakteure/upload/NachrufR%C3%B6mer.pdf