Ludendorff
Diktator im Ersten Weltkrieg

Das Fehlen einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Biographie Erich Ludendorffs hat Manfred Nebelin von der Technischen Universität Dresden veranlaßt, diesem erstaunlichen und oft beklagten Manko mit einer Habilitationsschrift abzuhelfen. Diese liegt jetzt mit geringfügigen Änderungen vor und verspricht, das militärische und politische Handeln des Mannes zu analysieren, der ab 1916 de facto die deutsche Landkriegsführung im Ersten Weltkrieg zu verantworten hatte und den der Klappentext mit düsterem Pathos als 'deutsche Verhängnisgestalt' annonciert.

Methodisch sieht sich Nebelin der 'neuen Politikgeschichte' verpflichtet. In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, daß er zunächst die Jugendjahre und Vorkriegskarriere des 1865 geborenen und in der Posener Region aufgewachsenen Ludendorff nachzeichnet. Dessen familiäres Milieu vermittelte nicht nur bürgerlichen Aufstiegswillen, sondern förderte auch ein frühes Interesse an militärischen Sachverhalten, dem die Erfahrung der durch einen siegreichen Krieg ermöglichten Reichsgründung zusätzlichen Auftrieb gab. Dieser Teil der Darstellung ist sehr anschaulich gelungen, so dass auch der zivile Leser dem ehrgeizigen jungen Mann nicht ohne Sympathie dabei zusieht, wie er Talent und viel Arbeit aufwendet, um die hohen Hürden zu nehmen, die vor der Verwirklichung seines beruflichen Traumes ' einer Verwendung im Generalstab (S. 48, 62f.) ' lagen. Ludendorff erreichte dieses Ziel, freilich noch im Hauptmannsrang, schon mit 29 Jahren, und seine weitere Karriere verlief insgesamt bruchlos, wenn auch nicht immer zu seiner eigenen völligen Zufriedenheit. Vor Kriegsbeginn trat er u.a. als Rekrutenausbilder und Dozent für Taktik und Kriegsgeschichte in Erscheinung, aber auch als fähiger Militäranalytiker mit an der Kriegsakademie erworbenen Russischkenntnissen, dessen besonderes Interesse einschlägigen technischen Neuerungen auf seinem Gebiet galt.

Nebelin setzt den Schwerpunkt seiner Arbeit zwangsläufig in den Jahren 1914-18, in denen der nun schon fast fünfzigjährige Ludendorff Gelegenheit erhielt, seine bis dahin nur in Friedenszeiten demonstrierten Kompetenzen in kriegerische Praxis umzusetzen, was der Berufsoffizier ausdrücklich als Erfüllung seiner Karriere begriff. Was folgt, ist im Wesentlichen eine Darstellung des Ersten Weltkrieges aus Ludendorffs Perspektive, die teilweise chronologisch, teilweise problemorientiert voranschreitet. Vergleichsweise knapp werden die frühen Höhepunkte von Ludendorffs Kriegskarriere ' die Einnahme Lüttichs und der Sieg bei Tannenberg ' abgehandelt, die dessen Popularität und Reputation wesentlich begründeten. Mehr Aufmerksamkeit widmet Nebelin dem Konflikt um die strategische Schwerpunktsetzung in der Kriegführung, der sich zwischen Ludendorff und dem hier etwas blaß wirkenden Hindenburg als den Oberbefehlshabern im Osten einerseits und der Obersten Heeresleitung anderseits entspann, nachdem das ursprüngliche Konzept eines raschen Sieges im Westen bei minimalem, defensivem Kräfteeinsatz im Osten (Schlieffen-Plan) ersichtlich gescheitert war. Es sind jedoch die beiden Kapitel, die der 'totalen Mobilmachung' und dem Weg in die 'Diktatur' Ludendorffs während des Krieges gewidmet sind, die das Kernstück der Biographie bilden. Darin dokumentiert Nebelin die Machtfülle, die sein Protagonist erreichte, überaus eindrucksvoll; dennoch sei hier dahingestellt, ob die daraus abgeleitete, in der Schlußbetrachtung vorgetragene Deutung Ludendorffs als einer Art 'missing link' zwischen Bismarck und Hitler zwingend ist.