Cheops
Die Geheimnisse um den Bauprozess der großen Pyramide

Die Cheops-Pyramide auf dem Giza-Plateau ist als größte der Pyramiden und Weltwunder der Antike seit je her ein Anziehungspunkt für Forschung und Ägyptologie-Interessierte. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage, wie man vor über 4000 Jahren in der Lage war, ein solches Bauwerk zu errichten. Erschwert wird das Bestreben eine Antwort zu finden durch die Tatsache, dass es keine zeitgenössischen Quellen zu den Bautätigkeiten des Pharaos gibt und mit den Berichten Herodots und Diodors Schriften vorliegen, die über 2000 Jahre später datieren. Somit entsprechen diese lediglich den Informationen ihrer Entstehungszeit. Jean-Pierre Houdin, ein französischer Architekt, möchte das Rätsel durch die Konstruktion einer Innenrampe als 'das fehlende Bindeglied' nun als gelöst betrachten und liefert in 'Cheops. Die Geheimnisse um den Bauprozess der Großen Pyramide' eine umfassende Darstellung seiner Hypothese.
Zunächst sollen jedoch Grundlagen geschaffen werden. Zu Beginn wird auf die Entwicklung von der Stufenpyramide zu einer glattwandigen Bauweise anhand der Pyramiden der dritten und vierten Dynastie vor Cheops eingegangen. Die bei diesem Prozess erworbenen Kenntnisse und Errungenschaften, wie zum Beispiel die Technik des Kragsteingewölbes, bildeten die Voraussetzungen für den Bau der Cheops-Pyramide, die als Höhepunkt des Pyramidenbaus angesprochen wird. Mit einem Überblick zu den verfügbaren Werkzeugen und Transportmethoden werden die technischen Möglichkeiten der Zeit vorgestellt. Allerdings fallen diese Darstellungen sehr knapp aus und wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, kommt um die Lektüre weiterer Literatur nicht herum. Generell sollte beim Lesen eine gewisse Vorkenntnis zur Cheops-Pyramide und der Anlage auf dem Giza-Plateau vorhanden sein.
Im Folgenden werden Angaben zu Zahlen, Maßen und Gewichten bezüglich des Bauwerks und Arbeitsmaterials gemacht. Eine Auflistung der für den Bau nötigen Arbeiter und der verschiedenen Arbeitsbereiche vom Steinbruch über den Transport der Blöcke per Schiff bis hin zu Facharbeitern vermittelt dem Leser ein Bild von den anzunehmenden organisatorischen und logistischen Ausmaßen des Bauprojekts.
Während nach den Erfahrungen und Entwicklungen unter Snofru nun die Errichtung einer glattwandigen Pyramide nicht mehr mit großen Hindernissen verbunden war, stellte die Königskammer der Cheops-Pyramide ein neuartiges Element in der Architektur dar. Die Besonderheit besteht in den Entlastungskammern und dem giebelförmigen Abschluss, wodurch der Druck von den Seitenwänden abgefangen wird. In der hohen Lage der Königskammer, 43 Meter über dem Bodenniveau, sieht Houdin den Grund für das gesamte Raumsystem (Felsenkammer, 'Königinnenkammer', Königskammer) der Pyramide, das in der Literatur bisher zwei verschiedene Interpretationen erfahren hat. Während Wissenschaftler wie R. Stadelmann und M. Lehner von verschiedenen Funktionen der Kammern ausgehen, wird von einer anderen Fraktion von drei verschiedenen Bauphasen, denen Planänderungen zu Grunde liegen, gesprochen. Demnach wurden alle drei Räume ursprünglich als Grabkammern geplant, doch nur die Königskammer als solche letztendlich ausgeführt, während die Felsenkammer und 'Königinnenkammer' wieder aufgegeben wurden. Auch nach Houdin handelt es sich um drei Grabkammern, die allerdings von Beginn an dem Bauplan entsprachen. Wäre der Pharao vor der Fertigstellung der Königskammer gestorben, hätte eine der anderen Kammern für die Beisetzung gedient (S. 35). Problematisch an dieser Interpretation ist, dass die Felsenkammer in diesem Zusammenhang nicht nötig gewesen wäre. Hätte man in diesem Fall tatsächlich Zeit in die Ausschachtungsarbeiten für eine unterirdische Kammer investiert? Ein System von zwei Kammern, wobei sich eine im Niveau des Bodens befunden hätte (wie zum Beispiel die Grabkammer bei der Chephren-Pyramide), wäre ausreichend gewesen. Außerdem spricht der weiterführende und abrupt endende Gang in der Felsenkammer gegen die Funktion als Grabkammer (R. Stadelmann, Die großen Pyramiden von Giza (1990) 126).
Ein von Houdin vorgeschlagener Zeitplan gibt die Abfolge der Bautätigkeiten an und die für die verschiedenen Arbeitsschritte beanspruchte Zeit innerhalb von 20 ' 22 Jahren (S. 36 f.). Allerdings geht daraus nicht hervor, nach welchen Anhaltspunkten er diese Einteilung vornimmt.
Im Hauptteil der Monographie widmet sich Houdin dem Bau der Pyramide und der Königskammer. Der Großteil besteht dabei aus Seiten füllenden, stets schwarz hinterlegten Computergraphiken, welche die verschiedenen Arbeitsschritte bei der Errichtung der Pyramide verdeutlichen sollen. Spätestens an dieser Stelle wünscht sich der Leser Abbildungshinweise im Text. Die Abbildungen sind zwar beschriftet, doch nicht nummeriert und man erkennt oft erst auf den zweiten Blick den Unterschied zur vorhergehenden Graphik. Im Textteil erscheint der Konjunktiv als ständiger Begleiter und man wartet vergeblich darauf, dass Houdin seine Hypothese auch mit archäologischen Fakten untermauert.
Nach Meinung des Architekten soll eine Außenrampe auf die Südseite der Pyramide zugelaufen sein, die bis auf das Niveau von 43 Metern über dem Bodenniveau führte. Mit dieser sei die Materialversorgung bis zu 73% für den Pyramidenbau gewährleistet worden, während das übrige Material über eine Innenrampe transportiert worden sei. Diese habe an der Pyramidenbasis begonnen und sei ' parallel zu den Fassaden ' spiralförmig angestiegen. Da sie von außen nicht zu sehen gewesen sei, habe diese Innenrampe nicht im Gedächtnis der Menschen überlebt und trete somit auch nicht in den Berichten Herodots und Diodors auf (S. 18). Warum dann der äußere Gang, den Houdin als Weg für die Arbeiter und für die Arbeiten an den Außenwänden der Pyramide postuliert (S. 51), nicht in den Schriftquellen erscheint, findet keine Beachtung. Dieser Gang soll parallel zur Innenrampe als eine Art Holzgerüst an die unbearbeitete Außenfassade angebracht worden sein und wäre somit durchaus ein sichtbares Element gewesen.
Für den Bau der Königskammer und die Entlastungskammern wird eine technische Neuerung angenommen, ein Gegengewichtssystem. Dieses System soll den Transport der Granitblöcke über die Außenrampe und eine Spezialrampe gegenüber der großen Galerie ermöglicht haben. Die große Galerie selbst habe als Gleitbahn für das Gegengewicht gedient, das über Seile mit der zu transportierenden Last verbunden war. Fast schon abenteuerlich klingt eine weitere in diesem Zusammenhang zu sehende Interpretation der 'Königinnenkammer'. Diese soll mit ihren Schächten als Resonanzverstärker bzw. 'Sprechanlage' während der Arbeiten an der Königskammer gedient haben und die Verständigung zwischen Galerie und Südseite der Pyramide für die Handhabung des Gegengewichtssystems ermöglicht haben (S. 77, 91). Auch wenn die Bedeutung und Funktion der Schächte, die von der Königs- und der 'Königinnenkammer' ausgehen, umstritten sind, erscheint Houdins Deutung nicht schlüssig. Bei einer solchen kommunikativen Funktion im Hinblick auf die Beladung des Gegengewichts hätte ein Schacht in die große Galerie führen müssen, während der Nordschacht der 'Königinnenkammer' dagegen nicht mit der Galerie in Verbindung steht, sondern an dieser vorbei führt.
Schließlich fasst Houdin die Vorgänge auf dem Giza-Plateau von der Wahl des Standorts über die Orientierungs- und Nivellierungsarbeiten bis zur Vollendung der Pyramide nach seiner Theorie noch einmal zusammen. Wer sich in den letzten Kapiteln doch noch handfeste, archäologische Belege erhofft, muss leider enttäuscht werden. Unter 'Die ersten Indizien' wird zwar auf mögliche Hinweise für eine Innenrampe eingegangen. Angeführt werden spiralförmige Anomalien bei einer Mikrogravimetrie-Untersuchung, eine Kerbe an der Nord-Ost-Ecke der Pyramide und 'Phantomrampen', die sich bei einem bestimmten Blickwinkel farblich in dem Gestein der Pyramide abzeichnen. Doch während die gesamte Hypothese ausführlich vorgestellt wird, bleibt die Beweisführung mit knappen 2 ½ Textseiten weit hinter dieser zurück. Auch der Versuch letztendlich noch die schriftlichen Quellen von Herodot und Diodor einzubinden ist kritisch zu betrachten. Vor dem Hintergrund der zu belegenden Annahmen handelt es sich hierbei nicht mehr um eine objektive Beurteilung der Textstellen, sondern 'schwammige Aussagen' werden auch im Sinne des gewünschten Ergebnisses interpretiert (S. 155ff.).
Die abschließende Bibliographie vereint 24 Werke zu dem Thema Pyramidenbau, wobei die meisten in französischer Sprache sind. Damit ist die zur Verfügung stehende Literatur zwar bei weitem noch nicht erschöpft, verwiesen sei jedoch auf M. Verner, der einen guten Überblick zum Stand der Pyramidenforschung bietet. Nicht in der Liste enthalten, aber für das Thema durchaus relevant, ist R. Stadelmanns 'Die großen Pyramiden von Giza'.
Insgesamt mag Houdins Theorie zum Bau der Cheops-Pyramide aus architektonischer Sicht zwar sehr ausgefeilt erscheinen, aus archäologischer Sicht fehlen jedoch die Belege und viele Fragen bleiben unbeantwortet. Somit muss wohl auch diese Theorie eine von vielen bleiben.