Unter dem Hakenkreuz
Band 1: Der letzte Frühling

Die 2001 in Frankreich begonnene und auf zehn Bände angelegte Comicserie 'Unter dem Hakenkreuz von Jean-Michel Beuriot und Philippe Richelle, deren erster Band kurz nach Erscheinen bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, liegt nun auch in bislang drei Bänden auf Deutsch vor, ein vierter Band ist in Frankreich bereits angekündigt. Es bleibt eine gewisse Unsicherheit, eine noch nicht abgeschlossene Serie, von der noch nicht bekannt ist, wohin sie sich entwickelt, zu rezensieren. Das gilt umso mehr als nach Lektüre der ersten drei Bände immer noch unklar ist, aus welcher Zeit eigentlich rückblickend erzählt wird. Doch der Reihe nach.
Erzählt wird die Geschichte von Martin Mahner, einem schüchternen jungen Mann, der sich vor allem für Literatur begeistert und der 1932 kurz vor dem Abitur steht. Martins Vater begeistert sich für Hitler und die Nationalsozialisten, in denen er Retter aus der Krise sieht. In die Nachbarschaft zieht die jüdische Familie Braun, in deren Tochter Katharina sich Martin verliebt, ihr aber seine Gefühle nicht offenbaren kann. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten hinterlässt auch in Martins Umfeld tiefe Spuren. Freunde von ihm schneiden Katharina von einem Tag auf den anderen. Ein gescheiterter ehemaliger Mitschüler aus armen Verhältnissen hat nun als SA-Mann die Möglichkeit die Erniedrigungen der Vergangenheit durch machtvolles Auftreten und einem Hang zu Brutalität und Gewalt zu kompensieren. Ein willkommenes Opfer ist Dr. Braun, Katharinas Vater, dem er die Patienten vergrault. Als dieser einschreitet, kommt es zu einem Handgemenge, in dem Dr. Braun den SA-Mann erschlägt. Kurz darauf nehmen sich Dr. Braun und seine Frau das Leben; Katharina haben sie einen Tag zuvor nach Paris zu Bekannten in Sicherheit gebracht.
'Ein Sommer in Paris', der zweite Band, setzt die Geschichte 1938 fort. Martin lebt nun in Paris, wo er an seiner Dissertation arbeitet und Katharina wieder trifft. Hier bewegt er sich in deutschen Exilantenkreisen, deren Existenznöte ausführlich und plastisch erzählt werden. Doch auch hier finden Katharina und Martin nicht zueinander, stattdessen beginnt Martin eine Liebesbeziehung zu Maria. Der Kriegsbeginn überrascht sie in Paris. Deutsche werden nun interniert. Nach dem Tod eines Freundes im Internierungslager entschließt sich Martin zur Rückkehr nach Deutschland und verliert Maria aus den Augen. Kurz darauf wird er zur Wehrmacht eingezogen.
Daran knüpft der dritte Band, der Martin als Besatzungssoldat 1943 in Frankreich zeigt, immer noch dem Regime gegenüber kritisch eingestellt. Inzwischen aber hat er Katharina wieder getroffen und ein Verhältnis mit ihr. Maria hingegen, die eigentliche Hauptperson des Bandes, lebt mit ihrer Tochter in Deutschland in einer Kleinstadt und arbeitet bei einem Arzt. Dessen Sohn ist im Widerstand aktiv, er schreibt und verteilt Flugblätter, wobei ihm Maria schließlich hilft. Doch die beiden werden entdeckt, verhaftet und am Ende hingerichtet.
Wie sich die Geschichte weiterentwickeln wird, ist noch nicht abzusehen, vieles bleibt noch offen. Ob die Verfolgung und Ermordung der Juden weiterhin weitgehend ausgeblendet wird, abgesehen vom Schicksal der Familie Braun im ersten Band, lässt sich nicht sagen. Ungeachtet dessen gelingt es Beuriot und Richelle letztlich, viele Facetten der NS-Diktatur sowie des Exils anschaulich zu machen und zu erzählen, etwa das Selbstüberwachungspotential, die Blockwartmentalität weiter Teile der deutschen Gesellschaft, die perfiden Methoden der Gestapo, den Alltagsantisemitismus, der schon 1933 rasch weite Kreise zog, aber auch eine gewisse Kriegsmüdigkeit, obwohl der Krieg kaum zum Vorschein kommt in den Bänden, allenfalls als eine sehr blasse Hintergrundfolie. Unterstützt wird dies alles durch atmosphärisch dichte, aber nicht überbordende Zeichnungen, die anders als in vielen anderen Comics über den Nationalsozialismus oder Holocaust farbig sind. Die Charaktere sind durchaus mehrschichtig. Martins Vater zum Beispiel lehnt trotz seiner Begeisterung für Hitler und seine Partei einen Radauantisemitismus, der keine Unterschiede macht, ab und lässt sich auch während des antisemitischen Boykotts 1933 den Gang zu seinem jüdischen Schneider nicht nehmen. Im Vordergrund aber stehen schon die positiven Identifikationsfiguren wie Martin und Maria, die das Regime ablehnen. Es bleibt abzuwarten, ob Beuriot und Richelle in den folgenden Bänden den Protagonisten noch mehr Tiefe verleihen können. In den ersten Bänden jedenfalls ist ihnen eine atmosphärisch dichte, gut gezeichnete Comicerzählung gelungen, die aber noch mehr an Potential aufzubieten hat.