SS und Secret Service
'Verschwörung des Schweigens': Die Akte Karl Wolff

SS-Obergruppenführer Karl Wolff zählt wohl zu denjenigen Gestalten, die in zentraler Funktion innerhalb des Terrorapparates des NS-Regimes tätig waren, aber in dieser Rolle nach 1945 unbekannt blieben. Stattdessen entwickelte sich Wolff zu einem geachteten Zeitzeugen. Seine zwielichtige Rolle im braunen Sumpf der Nachkriegszeit, im Biotop für NS-Nostalgiker am Starnberger See und anderswo, das Devotionalienhändler und -fälscher anzog wie die Fliegen ' all das wurde einer breiten Öffentlichkeit durch die Filmsatire 'Schtonk' dargeboten, freilich ohne dass Wolff namentlich darin genannt wurde.
Dass Wolffs Anteil an den Verbrechen des Regimes erst spät Thema wurde, er zunächst ungeschoren davon kam und in manchen Kreisen zum Vorzeigezeitzeugen werden konnte, geht zurück auf seine Rolle als Höherer SS- und Polizeiführer in Italien in den letzten Monaten des Krieges. In der 'Operation Sunrise' verhandelte er im März 1945 in der Schweiz mit dem dortigen Leiter der Außenstelle des US-amerikanischen Geheimdienstes OSS, Allen Dulles, über eine separate Kapitulation an der italienischen Front. Diese kam erst Anfang Mai 1945 tatsächlich zustande und war damit eigentlich fast ohne praktischen Nutzen. In der Folge erwuchs daraus aber eine dauernde Protektion Wolffs durch Dulles, was wohl auch Teil der Abmachungen in den Geheimverhandlungen war. Die Ursachen für die Schonung Wolffs durch die Westalliierten zu klären, ist wesentliches Anliegen der Studie von Kerstin von Lingen, die sich dabei unter anderem auf die amerikanischen Geheimdienstakten und den Nachlass von Wolff stützen kann. Ein wesentlicher Faktor war das politische Kalkül der Amerikaner, die ihre Verhandlungen vor der damals noch mit ihnen verbündeten Sowjetunion geheim hielten und daran folglich auch im Kalten Krieg gebunden waren. Eine Anklage gegen Wolff, daran besteht kein Zweifel, hätte dieses Kapitel amerikanischer Politik unweigerlich ans Licht gebracht und den amerikanischen Interessen im Systemkonflikt nachhaltig geschadet.
Kerstin von Lingen hat dieses Kapitel aus dem Kalten Krieg in einer spannenden Studie aufgearbeitet. Dem Klappentext des Buches ist nichts hinzufügen: 'Ein hochinteressantes Buch über Geheimdienste, alliierte Kriegsverbrecherpolitik und kollektive Erinnerung. Zugleich die erste biographische Studie über einen der ranghöchsten SS-Offiziere.'