Der Überläufer. Rudolf Diels (1900-1957)
Der erste Gestapo-Chef des Hitler-Regimes

In den letzten zwei Jahrzehnten sind eine Vielzahl von Arbeiten über den Polizeiapparat und speziell die Gestapo erschienen, auch Biographien von Funktionären an den Schaltstellen der NS-Verfolgungsorgane. Daher mag es verwundern, dass mit Klaus Wallbaums Hannoveraner Dissertation erst jetzt eine Studie über Rudolf Diels, den ersten Chef der Gestapo in der Berliner Zentrale, vorliegt. Das Erstaunen wird größer, berücksichtigt man, dass Diels nach 1945 trotz seiner kurzen Amtszeit beileibe kein Unbekannter war, sondern in der jungen Bundesrepublik offensiv die Öffentlichkeit suchte. In seinen Erinnerungen und in der Publizistik versuchte er ' zeitweise in Kumpanei mit Rudolf Augstein ' sein Handeln zu rechtfertigen und an der eigenen Legende mitzustricken.
Der 1900 geborene Diels war das, was man eine schillernde Persönlichkeit oder kritisch gewendet eine zwielichtige Person nennen könnte. Nach einem kurzen Kriegseinsatz studierte er ab 1919 Rechtswissenschaften und trat Mitte der zwanziger Jahre in den Staatsdienst ein. 1930 schließlich wurde er Regierungsrat im preußischen Innenministerium noch unter sozialdemokratischer Ägide. Diels war eine der Schlüsselpersonen beim sogenannten Preußenschlag, der putschartigen Absetzung der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung. Über seine engen Verbindungen zu Papen und Schleicher lancierte er frisierte Insiderinformationen, die den Vorwand für den Putsch von oben lieferten. Damit legte er den Grundstein für eine rasante Karriere: Im August 1932 wurde er Oberregierungsrat, ein Jahr darauf, nun schon unter nationalsozialistischer Regierung, Ministerialrat. Zu den Nationalsozialisten, insbesondere zu Göring, hatte Diels schon länger enge Kontakte. Seine Zuträgerdienste auch in diese Richtung wurden im April 1933 belohnt; Göring installierte ihn als Chef des neu eingerichteten Geheimen Staatspolizeiamtes. Seine Amtszeit währte er nur kurz, bereits im September musste er seinen Posten räumen, er wurde Opfer eines Machtkampfes zwischen Göring und Himmler um die Vorherrschaft im Polizeiapparat, den Himmler für sich entscheiden konnte. Allerdings konnte Diels in dieser Zeit nachhaltige Wirkung entfalten, die vielen Oppositionellen das Leben kostete: Er war maßgeblich an der Erfindung und Installierung der 'Schutzhaft' beteiligt, einem der zentralen Verfolgungsinstrumentarien der NS-Diktatur. Auf der anderen Seite verhalf er manchen nun Verfolgten zur Emigration. Nach dem Krieg konnte er nicht mehr an seine Karriere anknüpfen, die er ab 1934 als Regierungspräsident in Köln und Hannover fortgesetzt hatte. Gleichwohl wurde er als Beamter weiter vom Staat alimentiert und konzentrierte sich auf die Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache.
Auf Grundlage zahlreicher Akten und des Nachlasses von Diels kann Wallbaum den bisweilen verschlungenen Lebensweg rekonstruieren und liefert manch plausible Erklärung für Wendungen in der Biographie und widersprüchlich scheinendes Verhalten. Bei dem mitunter etwas schematischen Erzählen ' auf das Referieren des Selbstbildes von Diels, folgt das Urteil der Zeitgenossen und dann der Forschung ' bleibt allerdings die Rolle in der praktischen Politik etwas im Dunkeln. Herkunft und Kindheit werden eher pflichtschuldig auf nur zwei Seiten eilig abgehandelt.