Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg

95 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs, 90 Jahre nach Abschluss des Versailler Friedensvertrags und 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs fand sich in Düsseldorf, eingeladen von Gerd Krumeich, eine Reihe Historiker zusammen, um sich der Klammer, die die Ereignisse der verschiedenen Jahrestage zusammenhält, von verschiedenen Seiten zu nähern. Ergänzt um ein Vorwort von Ian Kershaw sind diese Annäherungen nun als Buch veröffentlicht. Es geht um die eigentlich nahe liegende und dennoch lange vernachlässigte Frage nach den konkreten Verknüpfungen und Verbindungslinien von Erstem Weltkrieg und Versailler Vertrag zur Etablierung der NS-Diktatur und ihrer zunächst 'friedlichen' und schließlich seit 1939 kriegerischen Expansion.
Nach zwei einführenden Überblicksdarstellungen des Herausgebers und von Ulrich Herbert geht es um drei große Themenblöcke: 'Mentale Mobilmachung', 'Tradition und Generation' und 'Lektionen des Krieges'. Dem Ersten Weltkrieg maßen die Nationalsozialisten ein hohes Maß an propagandistischer Bedeutung zu, wofür Hitlers Selbststilisierung in 'Mein Kampf' ein Beispiel aus der Frühzeit der 'Bewegung' ist. Im ersten Abschnitt des Sammelbandes gehen die Autoren der propagandistischen Rolle des 'Augusterlebnisses' und der Stilisierung des Weltkriegs zum heroischen Bewährungskampf in den Reden Hitlers, dem Propagandakalkül von Goebbels, in Dichtung, Malerei und dem Film nach und weisen deren zentrale Stellung in der geistigen Mobilmachung der Deutschen nach.
Dies führen die Beiträge im zweiten Abschnitt fort, indem sie das Verhältnis verschiedener NS-Organisationen zum Weltkrieg in den Blick nehmen (HJ, Stahlhelm, SA etc.) oder der Frage nachgehen, wie der Erste Weltkrieg im Bewusstsein der Generäle nachwirkte und inwiefern er handlungsleitend für sie wurde. Dem letzten Aspekt widmen sich die Verfasser der Aufsätze über die 'Lektionen des Krieges' intensiver, indem sie nach den konkreten Folgerungen für bestimmte Politikbereiche wie die Wirtschaftspolitik und vor allem auch die militärische Planung für den neuen Krieg untersuchen.
Auf diese Weise macht der Band in stimmiger Abfolge und auf empirisch gesicherter Grundlage den großen Einfluss des Ersten Weltkrieges auf Denken und Handeln der Führung sowie auf die propagandistische Mobilmachung deutlich. Dass hier auch der vielfach überstrapazierte generationelle Erklärungsansatz fruchtbar gemacht werden kann, können die meisten Autoren plausibel zeigen. Der 'einfache Volksgenosse', der den Ersten Weltkrieg aus eigenem Erleben als Soldat oder an der 'Heimatfront' erlebt hat, kommt nicht vor, obwohl zahlreiche Tagebücher zeigen, wie wichtig auch für ihn der Erste Weltkrieg als Deutungsfolie für den Zweiten war. Hier, und freilich nicht nur hier, gibt es weiteren Forschungsbedarf.