Die Biographie – Zur Grundlegung ihrer Theorie

Die Biographie gehört zu den Textgattungen, die seit je kritisiert werden. Man hat ihr methodische Kritiklosigkeit und theoretische Harmlosigkeit vorgeworfen. Sie galt lange Zeit als letzte Auffangstelle des deutschen Historizismus und als 'unschuldige Gattung' . Doch nichtsdestotrotz werden immer mehr Biographien geschrieben und erfreuen sich einer großen Popularität auf dem Buchmarkt. Nicht alle haben einen wissenschaftlichen Wert, aber alles in allem bieten sie doch eine Möglichkeit, aus dem Leben der Individuen das Leben der Gesellschaft verstehen zu lernen.
Auch Bernhard Fetz beklagt die Theorieresistenz der Biographie, jedoch versucht er ' zusammen mit seinen Mitarbeitern und -autoren ' aus den zahlreichen theoretischen Beiträgen aus verschiedenen Disziplinen einen Nutzen für die verpönte Gattung zu ziehen und diese in den Rahmen der theoretischen Überlegungen zu stellen: Das ist das primäre Ziel der 2009 erschienenen Monographie 'Die Biographie ' Zur Grundlegung ihrer Theorie' . Entstanden ist das Werk am Ludwig Boltzmann Institut für Geschichte und Theorie der Biographie der Universität Wien.
Die Monographie behandelt in vier thematischen Blöcken den Zusammenhang der Gattung Biographie mit dem jeweiligen Aspekt. Daraus ergibt sich eine Aufteilung in folgende Kapitel: 'Biographie und Geschlecht' , 'Biographie und Gesellschaft' , 'Biographie und Kulturtransfer' und 'Biographie und Medialität' .
Diesen vier Blöcken vorangestellt wurden drei einleitende Beiträge, in welchen zuerst die Entwicklung der Gattung seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dargestellt werden. Dort wird u.a. auf die methodologischen Probleme hingewiesen wie die historische Nachhaltigkeit eines vergangenen Lebens in biographischen Texten oder die Empathie des Biographen mit der Quelle seiner Untersuchungen. In zwölf Thesen bzw. Fragen werden zugleich die wichtigsten Aspekte die Auswertung und Darstellung biographischer Quellen betreffend formuliert und für die wissenschaftliche Biographik nutzbar gemacht. Eine besondere Funktion wird von den Autoren v.a. den schriftlichen Überlieferungen beigemessen: Nicht nur gedruckten Texten, sondern auch Manuskripten oder an unerwarteten Stellen vorgefundenen Kommentaren soll Aufmerksamkeit geschenkt werden. Nicht unbeachtet gelassen sollen zudem Auslassungen in einem Lebenslauf bzw. fehlende Quellen, da sie besonders auf das Verdrängte verweisen können.
Die vier genannten Blöcke bestehen aus jeweils zwei bis fünf Beiträgen. Da Gender zu einem nicht mehr wegzudenkenden Aspekt in beinahe allen Wissenschaften geworden ist und da er in dieser Monographie besonders detailliert behandelt wird, sei hier dem ersten Kapitel besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Wie das ganze Werk beginnt auch dieser einzelne Block mit einem einleitenden Aufsatz, in dem die Voraussetzungen der Frauenbiographik und ihre Entwicklung seit den 70ern geschildert werden. In dem weiteren Beitrag untersucht Esther Marian den Zusammenhang von Biographie, Geschlecht und Subjektivität und zieht dazu die Positionen von Thomas Carlyle, Daniel Jenisch und Anne-Kathrin Reulecke heran. Im Weiteren untersucht Caitríona Ní Dhúill die Probleme der relationalen Biographik. Eine randständige Person, die mit einer kulturell sichtbaren in Beziehung stand, zu belichten, sei ein Vorteil der relationalen Biographie, hole sie die Unbekannte doch aus der Vergessenheit hervor. Zugleich bestehe jedoch die Gefahr, durch die Entdeckung von Dokumenten einer Berühmtheit die eigentliche Heldin in den Hintergrund zu drängen. Den weiteren Vorteil der rationalen Biographik sieht Ní Dhúill darin, die Beziehung beider, der bekannten wie unbekannten Figur, in ein neues Licht rücken zu können. Exemplarisch zeigt sie dies am Beispiel von F. Scott und Zelda Fitzgerald.
Der Beitrag von Karoline Feyertag untersucht die ambivalente Beziehung Sarah Kofmans zu ihrem Geschlecht: Stand sie einerseits für ein eigenständiges und schöpferisches, für Frauen wie Männer mögliches Schreiben ein, wollte sie andererseits wie ein Mann schreiben und von der männlichen Kollegenschaft als Wissenschaftlerin anerkannt werden.
Im letzten und zugleich längsten Beitrag dieses Kapitels geht Esther Marian auf die psychoanalytische Frauenbiographik ein: Nach Darlegung der theoretischen Grundlagen diskutiert die Autorin drei Fallbeispiele: Helene Deutschs biographischen Aufsatz 'Ein Frauenschicksal. George Sand' , John Codys 'After Great Pain' ' eine Biographie von Emily Dickinson ' und Elizabeth Young-Bruehls 'Anna Freud. A Biography' . Der Beitrag berücksichtigt äußerst unterschiedliche Biographien: Deutsch steht für 'ein Einlenken in den 'weiblichen Entwicklungsweg' ' (S. 267) als die einzige Möglichkeit für eine Frau, ein befriedigendes Sexualleben zu führen, ein; Cody macht ausschließlich die Mutter Emily Dickinsons für ihre Psychose verantwortlich, ohne z.B. die Lebenspraxis der Männer anzuzweifeln (vgl. S. 272f.); Young-Bruehl überdenkt in ihrer Biographie nicht nur das Verhältnis der Autorin zum Werk, sondern auch die Normativität der Psychoanalyse als solcher. Daher versteht sie die Bisexualität (Anna Freuds) nicht als etwas, was es zu verdrängen gilt, sondern etwas, das neue Möglichkeiten bietet (vgl. S. 277f.). Doch genau anhand dieser Bandbreite werden die Probleme psychoanalytischer Frauenbiographik kenntlich. Marian weist auf die paradoxen Stellen bei Young-Bruehl hin, sieht jedoch in der Annahme des Anormalen als des Allgemeinen zugunsten eines besseren Verständnisses von Autor und Werk eine Voraussetzung der psychoanalytischen (Frauen-)Biographik.
Die gesamte Monographie ist im hohem Maße zu empfehlen, da sie in einer Arbeit gleich auf mehrere, unterschiedlichen Disziplinen entnommene Aspekte eingeht. Nicht nur geschriebene Biographien werden behandelt, sondern auch in anderen Medien verfasste wie der biographische Film. Auch Überlegungen aus den Sozialwissenschaften haben Eingang in die Arbeit gefunden, ähnlich wie die Dialektik von deutschen und britischen oder deutschen und italienischen Biographien. Und nicht zuletzt das Kapitel 'Biographie und Gender' verdient besondere Aufmerksamkeit, wird doch der Zusammenhang in anderen Monographien dieser Art, wenn überhaupt, nur am Rande behandelt.