Klatsch!
Vom Geschwätz im Dorf zum Gezwitscher im Netz

Wenn es von der Steinzeithöhle bis zum Global Village eine evolutionsbiologisch, psychologisch und soziologisch beschreibbare Konstante der sozio-kulturellen Entwicklung des Menschen gibt, dann ist das Klatsch. Das zumindest ist die These, die der studierte Soziologe und Redaktionsleiter der Internetausgabe der Zeitschrift 'Brigitte' Christian Schuldt in seiner 'Zeitreise durch die Geschichte des Klatsches' (189) vertritt. In den fünf übersichtlichen Kapiteln seines gut 200 Seiten umfassenden Bandes geht er den Formen und Funktionen von Klatsch, Tratsch und Gerüchten im Dorf bis zur Ökonomie der Aufmerksamkeit des Web 2.0 nach. Die Frage, die er sich dabei immer wieder stellt, ist die, warum Menschen ohne Klatsch offensichtlich nicht auskommen. Eine Antwort darauf findet er in der Beobachtung, dass Klatsch vor allem Beziehungsarbeit sei, 'die Abhängigkeitsverhältnisse entstehen lässt und die Bindung in sozialen Gruppen vereinfacht' (19). Klatsch sei immer mehr oder weniger moralisch konnotiert und diene letztlich ' darin etwa dem wechselseitigen Kraulen bei Affen vergleichbar ' der sozialen Integration. Schuldt führt als Beleg für diese Annahme eine Vielzahl an historischen wie aktuellen Beispielen zum Thema Klatsch aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen an und wagt dabei immer auch den Blick über die deutschen Verhältnisse hinaus in die Klatschkultur der USA, Frankreichs und Großbritanniens. Eine gut zusammengestellte Bibliographie gibt Interessierten die Möglichkeit, die hier nur angesprochenen Aspekte zu vertiefen.
Unterscheidet Schuldt zunächst noch grundsätzlich zwischen privatem und medialem Klatsch, der immer auch die Gefahr mittransportiere, 'Intimitäten nicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit' (102) zu enthüllen, zeigt sich im Laufe der Lektüre, dass diese Unterscheidung durch die virtualisierte Welt des globalisierten Klatsches zunehmend kollabiert. Denn das Internet, insbesondere das Web 2.0 und die damit verbundenen neuen Nutzungsformate wie Facebook stellen eine neue Dimension des Klatsches dar, indem sie die Ökonomie der Aufmerksamkeit gleichsam normalisieren und die Unterscheidung zwischen Privatem und Öffentlichem zur Disposition stellen.
So plausibel indes die Klatsch-Kategorie für Kommunikationsformen im Internet (und 'im Dorf') auch sein mag, so unscharf wird sie für andere gesellschaftliche Bereiche. Schuldt beobachtet nämlich grundsätzlich in jedem Funktionssystem ' von den Medien, über Politik, Wirtschaft, Liebe und Wissenschaft bis hin zu Kunst und Religion ' Aspekte von Klatsch. Und darin scheint denn auch neben den zum Teil stark struktur-funktionalistisch und (mitunter langweilig) evolutionsbiologisch angelegten Erklärungsansätzen der Schwachpunkt, doch damit auch der besondere Klatsch-Faktor des Buches zu liegen: Es versucht viele bekannte Phänomene unter einem, dadurch dann aber relativ vagen Begriff von Klatsch zusammenzufassen. Und so drängt sich häufig die Vermutung auf, dass Schuldt dort, wo er 'Klatsch' sagt, schlichtweg 'Kommunikation' meint. Nicht die Frage, ob es tatsächlich so etwas wie einen 'Siegeszug des Klatsches' (189) gibt, der die Gesellschaft zunehmend komplexer, schneller, oberflächlicher und unübersichtlicher macht, und ob diesem kulturpessimistisch entgegenzutreten wäre, steht damit am Ende der Lektüre. Am Ende steht vielmehr die Frage, von was Klatsch eigentlich zu unterscheiden ist ' aber vielleicht ist genau das wiederum das Besondere am Klatsch. Wäre dem so, dann böte Schuldts kleiner Band aus der Bibliothek der Lebenskunst nicht nur einen guten, unterhaltsamen Überblick über die Geschichte des Klatsches von der Antike bis in die Gegenwart, sondern vollzöge diese rhetorisch auch gleichsam selbst im Medium seines Gegenstands.