Die Germanistin Agathe Lasch (1879-1942)
Aufsätze zu Leben, Werk und Wirkung

Der Germanistin Agathe Lasch, die sich als Frau und Jüdin in der Wissenschaft behaupten musste, ist im Jahr 2009 das Themenheft der Zeitschrift 'Auskunft' gewidmet. Frau Lasch wurde 1879 in Berlin geboren, wurde 1909 in Heidelberg promoviert und habilitierte sich 1919 an der neu gegründeten Universität in Hamburg. Während sie sich als Frau wegen ihrer überragenden fachlichen Kompetenz gegen mancherlei Widerstände schließlich doch durchsetzen konnte, wurde sie als Jüdin Opfer der nationalsozialistischen Unmenschlichkeit. Am 15. August 1942 wird sie mit dem sog. 18. Osttransport nach Riga deportiert, wo sie wie die übrigen etwa 1000 Insassen unmittelbar nach der Ankunft auf dem Bahnhof Riga-Skirotava oder bei Massenerschießungen in den umliegenden Wäldern von Rumbula und Bikernieki ermordet wird.
Über die letzten Lebenstage der ersten deutschen Germanistikprofessorin gab es lange Zeit nur Spekulationen. Die den Nachkriegs-Nachrufen und Briefwechseln entnommenen Informationen deuteten auf Theresienstadt, das Getto in Lodz-Litzmannstadt oder eben auf Riga. Erst Christiane M. Kaiser, die auch das hier anzuzeigende Heft mitherausgegeben hat, konnte in ihrem Band in der Reihe 'Jüdische Miniaturen': 'Agathe Lasch (1879'1942). Erste Germanistikprofessorin Deutschlands', Teetz und Berlin 2007, das gesicherte Wissen über Frau Laschs Lebens- und Sterbeweg dokumentieren. Seither sind wir über ihre vier Lebensphasen mit den Stationen Berlin, Halle und Heidelberg ' Bryn Mawr (USA) ' Hamburg ' und wieder Berlin vergleichsweise sehr gut unterrichtet. Christine M. Kaiser entwirft dort das Bild einer eigenständigen und liebenswerten, gleichwohl eigensinnigen und selbstbewussten Forscherin, die das Bild der Germanistik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitgestaltet und mitprägt hat. Nachdem der Furor der 'Linguistisierung' der Sprachwissenschaft mit den traditionellen Paradigmen auch die vom Nationalsozialismus verfolgten Forscher aus den Handbüchern verdrängt hat, scheint die Zeit ' nach Ruth Römers noch ganz allein stehenden Bemühungen um Sigmund Feist am Beginn der 90er Jahre ' auch in der Sprachgermanistik nun doch reif zu sein, die Erinnerung an Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen jüdischer Herkunft wieder neu zu beleben.
Christine M. Kaisers Agathe Lasch-Porträt in den 'Jüdischen Miniaturen' hatte zudem nicht nur viele Wissenslücken geschlossen, es waren auch Einzelaspekte deutlicher hervorgetreten, die noch der weiteren Forschung bedürfen. Der nun vorliegende Sammelband greift eine Reihe dieser Fragen auf: 'Die Emigrationsbemühungen Agathe Laschs' (Christine M. Kaiser), 'Agathe Lasch und die Hamburger Lexikographie', 'Agathe Lasch als Rezensentin' (Andreas Stuhlmann), 'Die Rekonstruktion einer Forscherbibliothek. Reste der Privatbibliothek Agathe Laschs an der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin' (Sonja Kobold und Matthias Harbeck), 'Die Germanistin und Niederlandistin Annemarie Hübner (1908'1996). Zur wissenschaftlichen Biographie einer Hamburger Sprachforscherin zwischen Weimarer Republik und Nachwendezeit. Mit unveröffentlichten Briefen von Agathe Lasch' (Mirko Nottscheid). Dazu gibt es eine kurze Geschichte der (Um-)Benennung des Agathe-Lasch-Wegs in Hamburg (Moritz Terfloth), eine Darstellung der Geschichte des Agathe Lasch-Preises (Dieter Möhn) und ein Verzeichnis der Korrespondenz Agathe Laschs in der Arbeitsstelle Hamburgisches Wörterbucharchiv (1917'1934) (Brit Bromberg).
Die durchwegs niveauvollen Beiträge bereichern das Bild von Agathe Lasch ebenso wie das Bild vom Hochschulalltag im 'Dritten Reich' und werfen auch Schlaglichter auf die Formen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit. Ein guter Einstieg könnte von diesem Punkt aus die Lektüre des Beitrags über Annemarie Hübner sein, die eine der letzten Doktorandinnen Agathe Lasch war und in der Nachkriegszeit als Gutachterin im Lübecker Anne Frank-Prozess auch öffentlich in Erscheinung trat.
Da das Internationale Germanistenlexikon keinen Eintrag zu Annemarie Hübner enthält, bietet der Beitrag zudem wichtige fachgeschichtliche Ergänzungen. Der Sammelband ist allen wissenschaftsgeschichtlich interessierten Leserinnen und Lesern nachdrücklich zu empfehlen.