Die Shoah in Belgien

Forschungen zur Besatzungszeit und erst recht Arbeiten zum Holocaust in Belgien sind für die meisten Deutschen unbekanntes Terrain. Insa Meinen legt mit dem hier anzuzeigenden Band die erste deutschsprachige Darstellung zum Holocaust in Belgien vor. Um es gleich vorwegzunehmen, sowohl das Buch und seine Methode als auch das von ihm beschrittene Forschungsfeld verdienen größte Aufmerksamkeit.
Betrachtet man die nüchternen Zahlen, so wurden 25.000 Juden zwischen 1942 und 1944 in die nationalsozialistischen Vernichtungslager deportiert ' etwa die Hälfte der in Belgien registrierten Juden.
Detailliert arbeitet Meinen das Zusammenspiel zwischen der Militärverwaltung für Belgien und Nordfrankreich mit General Alexander von Falkenhausen und Militärverwaltungschef Eggert Reeder an der Spitze und den Verantwortlichen von SS, Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst in der Organisation der Deportationen heraus. Sie nuanciert dabei die allgemeine Ansicht, nach der vor allem die Rivalität zwischen diesen Verantwortungsträgern die Besatzungsherrschaft charakterisierte, für die Durchführung der 'Endlösung' in erheblichem Maß. Überzeugend zeigt sie, wie der Militärverwaltung zwar daran gelegen war, dass die Deportationen nicht zu öffentlichen Reaktionen und der Stärkung der 'Résistance' führen sollten, die Militärs aber andererseits wahrlich kein Hindernis für die Aktivitäten der SS darstellten.
Meinens Forschungsergebnisse erneuern die belgische Holocaustforschung in zwei Punkten. Zum einen setzt sie sich mit der in den letzten Jahren von belgischer Seite erforschten Rolle der belgischen Behörden an den Verhaftungen auseinander. Sie argumentiert hier deutlich gegen den Strich, indem sie die Rolle der deutschen Täter viel stärker hervorhebt und demgegenüber die Beteiligung belgischer Polizisten erheblich zurücknimmt. Sie unterscheidet hier klar zwischen dem Verhalten der Vichy-Polizei und demjenigen der Brüsseler und der Antwerpener Polizei. Zwar betont auch Meinen, dass die Antwerpener Kommunalverwaltung weniger Probleme hatte, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, sie relativiert jedoch deutlich die Bedeutung für die Organisation der Verhaftungen. Überaus hilfreich sind in diesem Zusammenhang die Kurzbiographien am Schluss des Buches, die sämtliche Akteure und ihren Weg (wenn möglich auch nach 1945) präsentieren. Meinen betont jedoch das tödliche Engagement von Kollaborateuren, etwa als V-Männer, um Flüchtlinge in die Fänge der Deutschen zu treiben.
Zum anderen weist sie anhand von (klar präsentierten) Zahlen überzeugend nach, dass der Großteil der deportierten Juden nicht bei Großrazzien verhaftet wurde, sondern bei Festnahmen in kleinen Gruppen, an denen zahlreiche deutsche Stellen beteiligt waren. Dabei hebt sie besonders die Rolle der Geheimen Feldpolizei sowie der Devisenschutzkommandos hervor. Meinen zeigt, dass dies vor allem eine Reaktion der deutschen Stellen auf die Rettungsstrategien der jüdischen Opfer war, die seit dem Sommer 1942 systematisch untertauchten ' eindringlich hier die nüchterne Schilderung von Schicksalen des XXI. Transports. Dabei spielt die Tatsache eine entscheidende Rolle, dass Tausende Juden schon seit 1938 (für Deutschland und Österreich) bzw. (und besonders) 1942-1943 (für die Niederlande) auf der Flucht waren und sich dementsprechend verhielten.
Die Ausweitung des Quellenmaterials, um die Dimension der Fluchtbewegungen in Westeuropa noch fassbarer zu machen, verspricht das Bild der Shoah in Belgien, deren Verlauf Insa Meinen hier auf sehr engem Raum behandelt hat, auch zukünftig noch in einigen Punkten zu erhellen. Sie selber wird dazu sicherlich weiter beitragen.