Die Gestapo nach 1945
Karrieren, Konflikte, Konstruktionen

Mit dem Band 'Die Gestapo nach 1945', der dem kürzlich verstorbenen Holocaust-Forscher Wolfgang Scheffler gewidmet ist, vollendet Klaus-Michael Mallmann von der Forschungsstelle Ludwigsburg, diesmal in gemeinsamer Herausgeberschaft mit Andrej Angrick, die 'Gestapo-Trilogie'. Deren erster Band war dem Thema 'Mythos und Realität' der Gestapo vor allem in der Vorkriegszeit gewidmet, der zweite konzentrierte sich auf die 'Gestapo im Zweiten Weltkrieg'. Nun lenken die Herausgeber den Blick auf die Nachkriegszeit und arrangieren die Beiträge in drei große Blöcke: Karrieren, Konflikte und Konstruktionen. Es geht also nicht nur um die Darstellung und Analyse des Lebenswegs ehemaliger Gestapo-Angehöriger nach 1945, was schon viel wäre, sondern auch um die Untersuchung von Rechtfertigungsstrategien, von Selbstkonstruktionen und von den wechselseitigen Prägekräften von Gestapo-Angehörigen und Nachkriegsgesellschaft. Teils sind die Beiträge Zusammenfassungen bereits an anderer Stelle publizierter Arbeiten, teils handelt es sich um genuin neue Texte eigens für diesen Band.
Zwar postulieren die Herausgeber in ihrer glänzenden Einleitung, alle drei Nachfolgestaaten der NS-Diktatur in den Blick zu nehmen, doch ebenso wenig wie dies in der Einleitung gelingt, bleiben die DDR und Österreich in den Beiträgen marginal. Das tut dem Ertrag des Bandes aber kaum Abbruch.
Von entscheidender Bedeutung für die mal mehr, mal weniger gelungene Integration der Gestapo-Angehörigen in die Nachkriegsgesellschaften waren die ersten Jahre nach 1945. Zahlreiche Ehemalige nahmen sich das Leben, tauchten in die Illegalität ab oder flohen ins Ausland. Die übrigen aber, und das war die überwiegende Mehrheit, erlebten zunächst eine totale Ausgrenzung, manifestiert in der totalen Dämonisierung der Gestapo und der oft jahrelangen Internierung. Waren diese Jahre erst überstanden, eröffneten sich vielfältige Wege; die Entnazifizierung war da nur noch lästige Formalität, die die meisten problemlos hinter sich brachten.
In der Bundesrepublik boten sich nun denjenigen, die zu einer äußeren Anpassung an die Republik bereit waren, gute Karrieremöglichkeiten, wie die Beiträge des ersten Blocks verdeutlichen. Hier werden die Karrieren einzelner ehemaliger Polizisten nachgezeichnet oder ihre Netzwerke analysiert.
Der irreführend mit 'Konflikte' betitelte zweite Abschnitt vereint Aufsätze, die aus verschiedenen Perspektiven die Ahndung der Verbrechen von Gestapo-Angehörigen beleuchten. Besonders erhellend ist hier der Beitrag von Jürgen Matthäus (Washington), der die meist unbeachteten Sonderkommissionen zur Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen untersucht, die vielfach bei den Landeskriminalämtern eingerichtet worden waren ' nicht zuletzt um Beamte mit einwandfreier Vergangenheit mit Ermittlungen zu betrauen, hatten doch zuvor personelle Kontinuitäten im Polizeiapparat allzu oft für 'Ermittlungspannen' und undichte Stellen gesorgt.
Im letzten und interessantesten Teil des Bandes beschäftigen sich drei Beiträge mit 'Konstruktionen' im Täterdiskurs von Wissenschaft und Gesellschaft, in den Aussagen der Ehemaligen und im Film.
Der Leser erhält einen umfassenden Überblick über eine besondere Tätergruppe nach 1945 ' und das auf dem gewohnt hohen Niveau der früheren Bände der Ludwigsburger Forschungsstelle, die längst zu einer festen Adresse qualitativ ausgezeichneter Holocaust- und Täterforschung geworden ist.