Die „Gettoverwaltung Litzmannstadt“ 1940-1944
Eine Dienststelle im Spannungsfeld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik

Gleich zwei neue Arbeiten widmen sich der deutschen Besatzungs- und Verfolgungspolitik im Reichsgau Wartheland, demjenigen westpolnischen Gebiet, das 1939 in das Deutsche Reich eingegliedert und zum Objekt einer radikalen genozidalen Politik geworden war. In den letzten Jahren sind bereits zahlreiche Arbeiten in Deutschland, Polen und im englischsprachigen Raum erschienen, die die Verfolgung und Ermordung der Juden im Warthegau insgesamt, die Zwangsarbeitslager für Juden, die sogenannte NS-Volkstumspolitik oder die das Leben und Sterben der Juden im Getto Litzmannstadt untersucht haben.
Trotz ' oder vielleicht gerade wegen ' dieses engen Forschungsumfeldes können Horwitz und Klein bislang weitgehend unerforschtes Terrain betreten, neue Akzente setzen und die Forschung mit neuen Erkenntnissen vorantreiben. Beide konzentrieren sich mit Łódź, im Frühjahr 1940 in Litzmannstadt umbenannt, auf die größte Stadt des einverleibten Gebietes. Gordon Horwitz erhebt den Anspruch, die Stadt insgesamt und ihren Weg zu einer NS-Metropole zu untersuchen, während Peter Klein ' gleichsam komplementär zu Andrea Löws Studie über die Juden im Getto ' sich auf die deutsche Gettoverwaltung konzentriert.
Horwitz schildert, gut erzählt, die zunehmende Vereinnahmung der Stadt durch die Deutschen, die gezielte Ansiedlung Volksdeutscher aus dem Baltikum und anderen Regionen, Bauvorhaben, deutsches Kulturleben und Propaganda ' alles mit dem Ziel aus der einstigen Vielvölkerstadt, in der Deutsche vor dem Krieg rund zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten, eine nationalsozialistische Vorzeigestadt zu machen. Dies stellt er in Kontrast zur Marginalisierung und Verfolgung der Juden, die ab Frühjahr 1940 in ein Getto gezwängt wurden. Ihre Situation kann Horwitz plastisch schildern, ohne gleichwohl sehr viel Neues zu bieten. Wer nun aber hoffte, auch über das Schicksal der Polen, immerhin der größten Volksgruppe der Stadt, etwas zu erfahren, der sieht sich enttäuscht. In Horwitz' Arbeit hat es der Leser, einen Teil der NS-Planungen bereits vorwegnehmend, gewissermaßen mit einer deutschen Stadt zu tun, in der noch ein Getto existiert. So bleibt das Buch letztlich ein Torso und die Erforschung der deutschen Polenpolitik und der Lebensbedingungen und Reaktionen der Polen ein Desiderat, zumindest in der westlichen Forschungslandschaft.
Peter Kleins detaillierte lokale Täterstudie untersucht auf einer breiten Quellengrundlage die 'deutsche Seite' des Gettos, die Gettoverwaltung als Teil der deutschen Kommunalverwaltung in Łódź/Litzmannstadt. Dabei macht Klein den Netzwerk-Begriff fruchtbar für die Analyse, indem er so die Gettoverwaltung in den lokalen Verfolgungsnetzwerken verortet, die in aller Regel reibungslos funktionierten, während auf höheren Ebenen Konkurrenzkämpfe ausgefochten wurden. Dass die Behörde kein seelenloser Apparat sich selbst radikalisierender Prozesse war, macht Klein immer wieder deutlich, indem er die handelnden Akteure auf allen Ebenen nicht aus dem Blick verliert, sondern sie und ihre tragende Rolle dem Leser immer wieder plastisch vor Augen führt.
Klein gelingt es mit seiner Netzwerkanalyse und der Berücksichtigung der verschiedenen Hierarchiestufen und der Akteursebene neue Einblicke in die Durchsetzung des Massenmords vor Ort zu geben, für die zentral erteilte Befehle gar nicht notwendig waren. Faszinierend führt Klein überdies vor, was aus vermeintlich unscheinbaren Quellen wie Kontoauszügen an Erkenntnisgewinn zu erzielen ist, auch wenn eine derartig detailgetreue Nachzeichnung bürokratischer Prozesse bisweilen die Lektüre erschwert.