Muckensturm. Ein Jahr im Leben einer kleinen Stadt

Über 50 Jahre nach seinem ersten Erscheinen ist der Roman 'Muckensturm. Ein Jahr im Leben einer kleinen Stadt' von Paula Buber in einer kommentierten Ausgabe im LIT Verlag neu aufgelegt worden. Obwohl der Roman einige Rezensionen und Reaktionen hervorrief, ist er heute weitgehend in Vergessenheit geraten und findet auch in der Literaturwissenschaft nur vereinzelt Beachtung. Als mögliche Ursache äußert die Herausgeberin Henriette Herwig die Vermutung, dass die Deutschen in der Mitte der Fünfziger Jahre noch 'nicht reif' für ein solches Buch waren. Die Neuedition, ein Faksimile der Erstausgabe, soll der bisher geringen Aufmerksamkeit entgegenwirken, zur Lektüre einladen und zugleich einige Erläuterungen zu Autorin und Zeit liefern.
Bei dem Roman, der 1953 unter dem Pseudonym Georg Munk erschien, handelt sich um eine auf über sechshundert Seiten entfaltete, detaillierte Beschreibung der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die sich im Jahr 1933 mit zunehmendem Einfluss der Nationalsozialisten in dem kleinen (fiktiven) Ort Muckensturm einstellen. Anhand von über 200 Figuren, die allen Teilen der Gesellschaft entstammen, wird ein facettenreiches Bild einer kleinstädtischen Gesellschaft erstellt, die aus den unterschiedlichsten Gründen dem Nationalsozialismus verfällt. Dabei zeichnet 'Muckensturm' eine sehr differenzierte Betrachtungsweise aus, sowohl was die Gründe für eine Unterstützung oder Tolerierung der Nationalsozialisten betrifft als auch jene für das Scheitern des anfänglichen Widerstands. Neben den Figuren, die langjährige Parteianhänger sind, entwirft die Autorin auch akribisch solche Charaktere, die aus Hang zu Konformismus, opportunistischen Gründen, mangelnder Solidarität oder im Bemühen, sich Vorteile zu verschaffen, zu Unterstützern der nationalsozialistischen Partei und Bewegung werden. Dadurch entlarvt die Autorin die Vorstellung, der Nationalsozialismus sei 'von oben' oktroyiert worden, als Täuschung und konfrontiert die Leser mit der Tatsache, dass er von breiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurde. Implizit stellt sie auf diese Weise die Frage nach der moralischen Verantwortung des Einzelnen.
Dem Romantext folgt ein etwa 30seitiger Anhang. Neben einer Bibliographie und einer editorischen Nachbemerkung der Herausgeberin hat die Enkelin von Paula Buber, Judith Buber Agassi, ein Nachwort verfasst, in dem sie einige persönliche Erinnerungen an die Zeit skizziert. In einer biographischen Zeittafel werden die spärlichen Informationen über die Autorin aufgeführt, die stets im Schatten ihres Mannes blieb: So erfährt der Leser unter anderem, dass Paula Buber mit ihrer Familie von 1916 bis 1938 in Heppenheim an der Bergstraße lebte, ein Ort, der ihr allem Anschein nach als Anregung für 'Muckensturm' diente. Verfasst wurde der Roman im Exil in Jerusalem zwischen 1938 und 1940. Damit wird in diesem Roman, als einem der ersten, der Alltag im nationalsozialistischen Deutschland aus der Sicht einer (jüdischen) Autorin geschildert.
Kritisch anzumerken im erwähnten tabellarischen Lebenslauf ist lediglich die mangelnde Transparenz, woher die zusammengetragenen Informationen stammen, sowie die Aufführung einiger Anmerkungen über die weitere Familie (z.B. Schwiegersöhne und -töchter), die Paula Buber nicht unmittelbar betreffen.
Ein kurzer Textkommentar erläutert ferner die im Roman benannten historischen Ereignisse sowie einige intertextuelle Verweise und gleicht einzelne Schilderungen mit Entwicklungen in Heppenheim, z.B. den Wahlergebnissen von 1933, ab. Gegen diesen Versuch, den Roman so entschieden an Heppenheim zu knüpfen, sei jedoch wenigstens erwähnt, dass sich Paula Buber von dieser geographischen Verortung stets distanzierte und die Allgemeingültigkeit der Darstellung betonte.
Unabhängig davon, wer oder was der Autorin als Inspiration diente, lässt sich festhalten, dass der neu aufgelegte Roman ein beeindruckendes Zeitdokument darstellt, der die dichotome Einteilung in Täter oder Opfer ad absurdum führt. Die Neuherausgabe dieses Textes kann über seine historische Bedeutung hinaus als gelungenes Projekt im Rahmen der Wiederentdeckung einer zu Unrecht vergessenen Schriftstellerin gelten.