Braune Diplomaten
Horst Wagner und Eberhard von Thadden als Funktionäre der 'Endlösung'

Lange Zeit hielt das Auswärtige Amt (AA) an der Legende fest, die klassische Diplomaten hätten sich nichts zuschulden kommen lassen, mehr noch, sie hätten, wo es denn ging, den Maßnahmen des NS-Staates Widerstand entgegensetzt oder diese zumindest abgemildert. Eine Verstrickung wälzte man ausschließlich auf diejenigen ab, die im Gefolge des NS-Außenpolitikers Joachim von Ribbentrop in das Auswärtige Amt gelangten. Diese Abwehrhaltung und eine falsch verstandene Traditionspflege manifestierten sich noch in jüngster Zeit in der für Diplomatenkreise ungewohnt heftigen Auseinandersetzung um die umstrittene Nachrufpraxis des Amtes.
In der Forschung jedoch weiß man seit langem um die wichtige Rolle, die Diplomaten auch in der Wegbereitung der Ermordung der Juden gespielt haben. Raul Hilberg wies darauf hin, Christopher Browning folgte mit einer minutiösen Studie über die Abteilung D des AA und deren Stellenwert für die 'Endlösung'. Nicht zu vergessen Hans-Jürgen Döscher, der überdies die frappierende personelle Kontinuität im AA über 1945 hinaus zum Thema machte.
Sebastian Weitkamps Studie, basierend auf seiner 2007 in Osnabrück angenommenen Dissertation, schließt da an, wo Browning aufgehört hat. Er untersucht die Referatsgruppe Inland II, Nachfolgerin der Abteilung D, und ihre Funktion in der NS-Verfolgungspolitik. Weitkamp erweitert die Perspektive, indem er sich für eine stärkere biographische Ausrichtung entschieden hat. In den Mittelpunkt stellt er den Leiter von Inland II, Horst Wagner, und dessen Stellvertreter und Judenreferenten, Eberhard von Thadden, deren Lebenswege er vor ihrer Zeit im AA und auch nach 1945 untersucht.
Die von Wagner geleitete Referatsgruppe sollte Verbindung zum Reichsführer SS halten und vor allem im Zuge der Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa Interventionen und Einsprüche anderer Staaten abwehren und dort, wo nötig, Hindernisse auf dem diplomatischen Parkett aus dem Weg räumen. Handlungsleitend für Wagner und Thadden war das Bestreben, möglichst viele Juden in die Deportationen einzubeziehen, wie der Verfasser überzeugend zu belegen weiß. Einzig in Fällen, in denen außenpolitische Erwägungen dies nahelegten, nutzten sie die vorhandenen Handlungsspielräume, um in Einzelfällen Hilfe zu gewähren.
An diese Einzelfälle knüpften sie nach 1945 an, als es darum ging, mit Hilfe von Lügen und Legenden den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Wagner etwa schrieb 1953 an den Bundestagspräsidenten in totaler Verkehrung der Tatsachen, es werde sich 'schwerlich ein lebender Mensch finden lassen, der so viele Menschen vor einem entsetzlichen Schicksal bewahrt hat, wie ich es getan habe'. Trotz übermächtiger Beweise perlten die Ermittlungsverfahren an ihnen ab.
Weitkamp konnte aus einem ungewöhnlich dichten Quellenfundus schöpfen. Anschaulich und detailliert, ohne sich im Detail zu verlieren, analysiert er Motivation und Praxis dieser beiden 'Endlösungs'-Funktionäre, ihre Nachkriegskarrieren und das Scheitern der Justiz, sie für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Trotz weitaus dünnerer Quellengrundlage gelingt es dem Verfasser, auch die Biographien der beiden zu rekonstruieren und überzeugend mit dem Rest der Studie zu verzahnen. Damit schließt Weitkamp auf intelligente Art mit seinem wichtigen Buch eine Forschungslücke.