Die andere Front
Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg

Das fotografische Gedächtnis des Ersten Weltkrieges ist bestimmt von Bildern von der Westfront. Fotografien, die in diesem Krieg im Osten und Südosten Europas entstanden sind, lagen dagegen weitgehend vergessen in Archiven, und wenn es um Bilder von der Ostfront geht, ist in den allermeisten Fällen vom Zweiten Weltkrieg die Rede. Der typisierte fotografische Blick auf den Ersten Weltkrieg wurde bereits in der Zwischenkriegszeit konstruiert, und seitdem wurde selten darüber hinaus geblickt.
Nun hat der Historiker Anton Holzer, Herausgeber der Zeitschrift 'Fotogeschichte', einen reich bebilderten und kenntnisreich kommentierten Band über 'Die andere Front. Fotografie und Propaganda im Ersten Weltkrieg' veröffentlicht. Über 500 größtenteils unveröffentlichte Fotografien aus dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek sind hier veröffentlicht und vermitteln vor allem durch die kluge Kontextuierung des Fotohistorikers Holzer neue Blicke auf die Front im Ersten Weltkrieg. Die meisten der Bilder stammen aus der Fotosammlung des k.u.k. Kriegspressequartiers, der Propagandaabteilung des österreichisch-ungarischen Heeres.
Holzer betrachtet einzelne Bilder oder Bilderserien genauer, erläutert den Zusammenhang und bietet Interpretationen zum Entstehungskontext; er schildert uns den Alltag der Kriegsfotografen, die Zensur, die wachsende Bedeutung der Bildpropaganda und ihren systematischen Einsatz (ein im modernen Krieg nicht mehr wegzudenkendes Mittel), die Art der Motive; damit entsteht nicht nur eine Dokumentation des Ersten Weltkrieges in Osteuropa, sondern weit darüber hinausgehend wird der zeitgenössische Blick auf einen gewaltigen Umbruch und die Gewalt des Ersten Weltkrieges deutlich.
Holzer sieht in der 'von Historikern oft als bedrohlich empfundenen Mehrdeutigkeit von Fotografien' eine Chance: 'Fotos sind anders mit geschichtlichen Abläufen verknüpft als schriftliche Dokumente. Sie sind stärker in die Ereignisse involviert, denn der Fotograf muss zwangsläufig 'vor Ort' sein. Aber vor Ort, dort, wo die Fotografen ihren Apparat aufbauen, passiert meist nicht das, was Eingang in die Geschichtsbücher findet. Hier fallen in der Regel keine historischen Entscheidungen.' (S. 325) Was aber aus Fotografien herauszulesen ist, wenn man sie nicht als bloße Dokumentation, als Beigabe zu schriftlichen Quellen versteht, hat Holzer am Beispiel der Fotografie an der Ostfront des Ersten Weltkrieges beispielhaft vorgeführt.