Die Deutschen und der Osten
Feindbild und Traumland

Ist im Titel der spannenden Darstellung Wolfgang Wippermanns vom Osten im Singular die Rede, präzisiert der Autor dies schnell und zeigt auf, wie kompliziert es sich mit 'dem Osten' verhält: 'Zum politischen und religiösen kommen der europäische und orientalische Osten. Alle vier Osten sind nicht einfach und von Anfang an da. Sie sind in einem langen und tief in die Geschichte zurückreichenden Prozess erfunden, stereotypisiert und zu dem gemacht worden, was ich Geostereotype nenne' (S. 9). Diesen Prozess skizziert Wippermann, der sich seit Jahren mit diesem Thema beschäftigt und einschlägig dazu veröffentlicht hat, nun auf knapp 130 Seiten in essayistischer Form.
Den Antagonismus zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Orient und Okzident skizziert er, zugleich unternimmt er einen Streifzug durch kulturelle Begegnungen mit dem Orient, wie etwa im 'Parzifal' oder der 'Entführung aus dem Serail'. Doch gehörte zum Bild, dass sich die Deutschen vom 'Osten' machten und machen, eigentlich weniger der Orient als vielmehr der europäische Osten. Diesem ambivalenten Bild widmet der Autor den größten Teil seines Buches, hier war immer wieder eine diffuse Angst vor 'Völkerfluten aus dem Osten' bestimmend. Zwar gab es auch Gegenbewegungen, die ein positives Bild des 'Ostens' zeichneten. Doch der erst im 19. Jahrhundert nachträglich konstruierte deutsche 'Drang nach Osten' mit seinen verheerenden Folgen war es, der sich durchsetzte, die deutsche 'Ostforschung' suchte die deutsche Hegemonie in Ostmitteleuropa zu begründen und lieferte die ideologischen Prämissen für die deutsche 'Volkstumspolitik' im Zweiten Weltkrieg: 'Der 'Rassenkrieg' des nationalsozialistischen 'Rassenstaates' war nicht nur der barbarischste, sondern auch der 'wissenschaftlichste' Krieg der Weltgeschichte' (S. 76). Und nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland aufgrund der neuen politischen Konstellation wiederum ein 'Feindbild Osten', Angst wurde geschürt und für politische Zwecke instrumentalisiert. Legitimiert wurde dies auf altbekannte, verstörend bruchlose Weise: 'Die von den Kultusministern verordnete neue 'Ostforschung' war die alte' (S. 90). Eine Loslösung von dieser Richtung wagte die 'Neue Ostpolitik' der Sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt. Parallel erfolgten erste Wandlungen in der Wissenschaft, Belletristik und Publizistik; und machten neugierig auf 'den Osten', der ja eigentlich 'ohnehin eher in der Mitte als im Osten Europas' lag (S. 97). Nach der Wiedervereinigung führten Frust und enttäuschte Erwartungen zu den negativ konnotierten gegenseitigen Bezeichnungen als 'Ossis' und 'Wessis' und überwunden geglaubte 'Geostereotype über den Osten' (S. 100) kehrten zurück.
Am Ende seiner lesenswerten Schilderung der widersprüchlichen und wechselvollen Geschichte der Wahrnehmung des 'Ostens' durch die Deutschen und ihres Umgangs damit, geht Wippermann dann hochaktuell noch einmal auf den 'orientalischen Osten' und hier auf den Islam ein. Er rückt einige Vorurteile zurecht und warnt vor einer immer wieder vorgenommenen Gleichsetzung von Islam und Islamismus. Er plädiert für eine Versachlichung der Debatte: ''Islamischer Terrorismus' ist schlicht falsch, weil es keine einzige Stelle im Koran gibt, die Muslime zur Begehung terroristischer Taten verpflichtet. Dies wird nur von einigen Islamisten fälschlich behauptet' (S. 117).