Von Wien nach Shanghai
Die Flucht einer jüdischen Familie

Vivian Jeanette Kaplan nennt ihr Werk ein 'kreatives Sachbuch' (S. 9): Aus der Perspektive ihrer eigenen Mutter schildert sie deren Flucht vor den Nationalsozialisten aus Wien nach Shanghai. Diese Ich-Form erscheint allerdings manchmal störend und die Dialoge im Buch sind mitunter arg pathetisch. Auch finden sich in der Beschreibung jüdischen Lebens in Wien einige Ungenauigkeiten.
Das Verdienst des Berichtes ist es, die Flucht von Juden nach Shanghai in den Blickpunkt zu rücken, ein nur wenig beachtetes Thema der Geschichte der Judenverfolgung. Die Schilderungen des so fremden Lebens in Shanghai sind denn auch die stärksten Passagen des Buches. Der Vater war bereits gestorben, das Vermögen hatten sich die Nazis angeeignet als die Familie 1939 wie ungefähr 6000 weitere Wiener Juden nach Shanghai flieht. Direkt bei der Ankunft wird klar, wie fremd diese neue chinesische Heimat ist: 'Ich sehe mir diese eigenartigen Menschen an, die eklige Klumpen auf die Straße spucken. Der Gestank steigt vom Fluss auf und die Hitze des Tages nimmt uns den Atem, als würden wir stranguliert. Ich stehe auf verfaulenden Planken, übergebe mich in das übel riechende Wasser und frage mich, ob wir der Gefahr in Europa entkommen sind, um nun in einer Hölle zugrunde zu gehen, wie wir sie und in unseren schlimmsten Träumen nicht hätten ausmalen können' (S. 116). Sie arrangieren sich ' wie viele andere deutschprachige Juden, für die Shanghai die letzte Rettung war ' mit dem neuen Leben. Auch hier müssen sie unter japanischer Besatzung nach einer Weile in ein Getto umziehen, brauchen Passierscheine, um das schmutzige und enge Gebiet zu verlassen. Die Flüchtline versuchen, sich in ihrem engen Viertel ein kleines Stück Europa zu erschaffen, Straßencafés werden gegründet und ein Restaurant, in dem es österreichische Gerichte gibt: 'Wenn hier nun unsere Heimat sein soll, nicht nur für ein paar Monate, sondern, wie es den Anschein hat, für endlose Jahre, dann wollen wir auch wie zivilisierte Menschen leben' (S. 222).
Die Autorin selbst wurde 1946 in Shanghai geboren, ihre Eltern hatten noch während des Krieges geheiratet. 1949 verließ die Familie Shanghai und ging nach Toronto.