Germanistik und Politik in der Zeit des Nationalsozialismus
Zwei Fallstudien: Hermann Schneider und Gustav Neckel

Hermann Schneider (1886'1961) und Gustav Neckel (1878'1940) gehörten zu den bedeutendsten Germanisten ihrer Zeit. Beide sind heute weithin vergessen. Dies liegt vor allem daran, daß ihr Forschungsschwerpunkt, die germanische Altertumskunde, nach 1945 an den Rand des germanistischen Spektrums gedrängt wurde. Ein Stück weit ist dies nachvollziehbar. Weil die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik gerade an diesem Gebiet besonders interessiert war, haben sich Heerscharen von Dilettanten teils in unerträglich naiver Weise, teils in ideologischer Absicht, mit dem germanischen Altertum beschäftigt und versucht, eine zuvor noch weithin seriöse Wissenschaft mit zweifelhaften Thesen zu politisieren und zu aktualisieren. Statt sich gegen diesen Dilettantismus zur Wehr zu setzen, hat die Nachkriegsgermanistik der Einfachheit halber den gesamten Gegenstand ins Abseits gestellt. Nur einige Aspekte der Altertumskunde konnten in der Skandinavistik überwintern. Aus diesem Kreis stammen nun auch die beiden Fallstudien zu Hermann Schneider und Gustav Neckel, die in exemplarischer Form sichtbar machen, welchen ideologischen Ansprüchen auch etablierte und angesehene Forscher im Alltag unter dem Nationalsozialismus ausgesetzt waren. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, gewinnen die Studien für die Wissenschaftsgeschichte insgesamt ihren bleibenden Wert. Beide, Schneider und Neckel, begegneten den neuen politischen Konstellationen auf sehr unterschiedliche Weise. Neckel sah im nationalsozialistischen Fahrwasser vor allem eine Chance zur Aufwertung seines Faches, Schneider dagegen fühlte sich unfrei und bedrängt.
Neckels wissenschaftliche Reputation hatten seine frühen philologischen Studien als außerordentlicher Professor in Heidelberg begründet, vor allem die noch heute maßgebliche ' seit der vierten Auflage von Hans Kuhn betreute ' Edda-Ausgabe von 1914. Im Jahre 1920 übernahm er von seinem Lehrer Andreas Heusler den renommiertesten nordistischen Lehrstuhl im Deutschen Reich. Auf dem Höhepunkt seines Ansehens beginnt jedoch bereits sein Abstieg. Seine Anschauungen faßt er 1939, kurz vor seinem Tode, noch einmal zusammen: 'Die nationalsozialistische Revolution [ist] für unsere Wissenschaft ein Ereignis von besonderer und umfassender Bedeutung. Der gewaltige Durchbruch germanisch-deutschen Geistes, der ihr innerstes Wesen ausmacht und der sich immer tiefer in einer gläubigen Begegnung unserer eigenen Gegenwart mit den Quellen unseres völkischen Umgangs erfüllt, gab der Germanenkunde erst die höchste Rechtfertigung und die unlösliche Verbindung mit den lebendigen Kräften der Natur.' Seit Beginn der 30er Jahre wendet er sich mit seinen Schriften daher nicht mehr in erster Linie an Fachkollegen, sondern an eine breite, nationalsozialistisch gesinnte Öffentlichkeit. Seine Unterstützung der weithin pseudowissenschaftlichen Popularisierung der Germanenkunde entfremdete ihn der Fachwelt. Als er sich wenig später aus Eifersucht und verletztem Stolz seines ehemaligen Assistenten Kummer, einem Nationalsozialisten der ersten Stunde, Verleumdungen und Angriffen ausgesetzt sah, die ihn als Mensch und Wissenschaftler lächerlich machen sollten, stand er im Fach hilflos und alleine da. Neckels Assistentin Anne Heiermeier, die mit der 'katholischen Aktion' in Verbindung gebracht wurde und zugleich der Grund war für Kummers Eifersucht, mußte die Universität verlassen, Neckel selbst wurde durch das Reichserziehungsministerium mit Verweis und Zwangsversetzung nach Göttingen diszipliniert. Die dilettantische Durchführung der Versetzung wirft schließlich auch ein grelles Licht auf die Wissenschaftspolitik der Zeit.
Während sich Gustav Neckel durch die Unterstützung haltloser populärwissenschaftlicher Thesen, eine unklaren Beziehung zu seiner Assistentin, den sehr freien Umgang mit Zitaten aus der Forschungsliteratur und die angebliche Wertschätzung Heinrich Heines, was ihm von den verschiedensten Seiten unterschiedlich motivierte Kritik einbrachte, trotz seiner nationalsozialistischen Weltanschauung politisch und wissenschaftlich selbst ins Aus manövriert hatte, fand Hermann Schneider von vorn herein wenig Gefallen an der nationalsozialistischen Hochschulpolitik. Er spielte mit dem Gedanken, in die Schweiz überzusiedeln. Der Briefwechsel mit Andreas Heusler, der dieser Fallstudie beigefügt ist, zeugt von seiner Bedrängnis: 'Ich bin kein freier Mensch mehr ...' schreibt er am 13. Dezember 1933 an den in Basel lehrenden Kollegen. Da Schneider dennoch in Tübingen bleibt, kann er sich der punktuellen Zusammenarbeit mit dem Regime nicht entziehen. Der Briefwechsel mit Heusler zeigt dabei sehr deutlich, wie schwer es einem Repräsentanten der bildungsbürgerlichen Elite gefallen sein muß, gegenüber der NS-Propaganda einen klaren Kopf zu bewahren. Deutlich zeigen dies seine Einschätzungen zum Vertrag von Versailles, zum Völkerbund und zu den militärischen Erfolgen in der Anfangszeit des Krieges. Vorwürfe, die Schneider in der Nachkriegszeit dann tatsächlich gemacht wurden und die auch zum Verzicht auf eine Fortsetzung des Tübinger Rektorats (1945/46) geführt haben, sind dann allerdings völlig undifferenziert vorgetragen worden und zum Teil auch falsch. Dies setzt sich fort in den Angaben des 'Internationalen Germanistenlexikons' (IGL), wo Schneiders Lehrtätigkeit an der Universität Bukarest (1942/43) vorschnell und unbegründet als Beleg für seine Verbindung zur NS-Kulturpolitik herangezogen wird. Auch die dort ebenfalls erhobene Anschuldigung, Schneider habe 1933 das 'Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat' unterzeichnet, trifft nicht zu. Klaus von See widerlegt diese Vorwürfe minutiös. Er zeigt eindrucksvoll, wie leichtfertig ' wiewohl aus ehrenwerten Motiven ' unbelegte Vorwürfe erhoben und weiter fortgeschrieben werden. Wenn dennoch der Eindruck zurück bleibt, Schneiders Haltung während der NS-Zeit sei durch eine gewisse 'Ambivalenz' gekennzeichnet, so ist hier weniger eine bestimmte politische Gesinnung, als vielmehr ein forciert 'antimoderner' Kunstgeschmack ausschlaggebend ' übrigens trotz seines Hauses im Bauhaus-Stil, das die Tübinger Tagespresse als 'undeutsch' bezeichnete ', der sich etwa in Schneiders lebenslanger Verehrung für den völkischen und antisemitischen Dichter Erwin Guido Kolbenheyer zeigt.
Die Karrieren Schneiders und Neckels machen einmal mehr deutlich, daß das Verhalten von Hochschullehrern unter dem Nationalsozialismus mit einer schematischen Unterscheidung von Parteigängern und Oppositionellen nicht angemessen charakterisiert werden kann. Dies ist zwar längst bekannt, selten aber an konkreten Einzelschicksalen so überzeugend dargestellt worden.
Der neben Schneider und Neckel durch die Edition des Briefwechsels Schneider ' Heusler in diesem Band ebenfalls zu Wort kommende Andreas Heusler erweist sich allerdings als der interessanteste der drei Forscher. Seine anfängliche Sympathie für den Nationalsozialismus scheint abzukühlen, weil er persönliche Kontakte zu einzelnen Opfern des Regimes hält. So zum heute ebenfalls weithin vergessenen Nordisten Konstantin Reichardt, dem 'die ganze Richtung nicht paßt' und der schließlich emigriert, und zu Friedrich Ranke, der seinen Breslauer Lehrstuhl verliert, weil seine Frau Jüdin ist. Im Gegensatz zu Schneider kann Heusler ohne größeres Risiko kritische Töne anschlagen und sich eine differenzierte Meinung bilden, denn er lebt in der Schweiz.
Julia Zernack und Klaus von See schreiben ein fesselndes Kapitel germanistischer Wissenschaftsgeschichte und zeigen, wie viel noch aufzuhellen ist, bis wir ein genaues Bild vom Alltag der Universitäten und Hochschullehrer unter dem Nationalsozialismus haben werden.