Die deutsche Ordnungspolizei und der Holocaust im Baltikum und in Weißrussland 1941-1945

Wolfgang Curilla, Jurist und langjähriger Senator in Hamburg, hat nach einer imponierenden Rechercheleistung ein voluminöses Werk zu einem wichtigen Kapitel des Holocaust in Osteuropa vorgelegt. Er ergründet den Anteil deutscher Ordnungspolizisten an der Ermordung der Juden im Baltikum und in Weißrußland. Die weitreichende Beteiligung deutscher Polizisten an der Vernichtung der Juden ist erst seit Anfang der neunziger Jahre, beginnend mit Christopher Brownings Studie über das Reserve-Polizeibataillon 101 und Daniel Goldhagens umstrittenem Buch über 'Hitlers willige Vollstrecker', zum Gegenstand der historischen Forschung geworden. Die bundesdeutsche Justiz allerdings widmete sich bereits seit Ende der fünfziger Jahre diesen Tätern. Curillas Handbuch basiert weitgehend auf dem in den Ermittlungsverfahren angehäuften Material, ergänzt um die leider spärlichere Überlieferung zeitgenössischer Unterlagen in diversen Archiven.
Curillas Buch ist nur mit einem erheblichen Kraftakt zu bewältigen. Das liegt nicht nur am Thema selbst, sondern auch am Umfang und der gewählten Form der Darstellung. In einer Mischung aus Monographie und Handbuch arbeitet er systematisch alle Einheiten der deutschen Ordnungspolizei ab, die am Genozid an den Juden im Baltikum und Weißrußland beteiligt waren. Dabei ist er um größtmögliche Vollständigkeit und Genauigkeit bemüht, überfrachtet den Text allerdings mit einer Reihe nebensächlicher und gänzlich überflüssiger Details: 'Als Unterkunft der Beamten der Schutzpolizei-Dienstabteilung diente ein Gebäude in der Republikstr. 13.' (S. 192) Sätze von solch zweifelhaftem Informationswert finden sich leider immer wieder. Eingeleitet wird das Buch von rund 100 Seiten über 'Grundlagen und Voraussetzungen'. Hier breitet Curilla die stufenweise Entrechtung der Juden in Deutschland aus, die Geschichte der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus sowie die Vorbereitungen auf den Angriff auf die Sowjetunion. Hier hätte man sich eine erhebliche Straffung gewünscht, zumal der Zusammenhang zum Hauptteil des Buches nicht immer ersichtlich ist. Eine seitenlange Erörterung der längst widerlegten Präventivkriegsthese zum Beispiel ist für sein Thema überflüssig.
Im Hauptteil entfaltet er ein Panaroma des Mordes, das auch durch die nüchterne Sprache des Juristen und die Aufzählung von Exekutionen und Mordstatistiken nicht an Schrecken verliert. Dankenswerterweise geht Curilla immer wieder über den engeren Rahmen seines Buches hinaus, indem er auch das mörderische Treiben einzelner Polizeibataillone im besetzten Polen mit einbezieht. Das ist umso wichtiger, als viele Polizisten bereits dort die Schwelle zum Morden überschritten hatten. Bei einer Erklärung für die Bereitschaft zum Massenmord muß also häufig bereits früher angesetzt werden. Bei jeder Polizeieinheit hält er sich an ein festes Schema: Auf Informationen über ihre Aufstellung und über die Ermittlungsverfahren der Justiz in der Bundesrepublik und in der DDR folgt die Darstellung der einzelnen Verbrechen mit Angabe von Ort, Zeit und vor allem auch der Zahl der Opfer. Das summiert sich bei einzelnen Polizeibataillonen zu Opferzahlen, die den Einwohnerzahlen von mittleren Kleinstädten bis hin zu Großstädten entsprechen. Nach Art einer Anklageschrift wird jedes Verbrechen in einem eigens numerierten Kapitel behandelt, das mal aus nur wenigen Sätzen besteht und sich mal über mehrere Seiten erstreckt.
In einem abschließenden Teil wendet sich Curilla anderen am Morden beteiligten Institutionen zu, darunter Sicherheitspolizei und SD, die Zivilverwaltung und die Wehrmacht. Hier macht sich die Herangehensweise des Juristen, im Gegensatz zum Hauptteil, negativ bemerkbar. Curilla bleibt einseitig fixiert auf die direkte Beteiligung an Exekutionen und Tötungen. Damit blendet er zum Beispiel den Beitrag der Zivilverwaltung bei der Verfolgung und Entrechtung der Juden, mit der diese auch Voraussetzungen für einen Teil des Holocausts schuf, nahezu vollständig aus. Das hier zu beklagende Analysedefizit fällt angesichts der bereits vorhandenen Forschungen von Christian Gerlach, Christoph Dieckmann u.a. allerdings nicht stark ins Gewicht. Ärgerlicher hingegen wird das im Abriß über 'die subjektive Seite' der Täter, der Frage nach den Gründen für die Mordbereitschaft. Curilla beschränkt sich weitgehend auf eine ganze Palette knapper Einzelbeispiele mehr oder weniger fanatischer Nationalsozialisten, ohne auf die näheren Umstände der geschilderten Taten sowie der Täter und ihrer Motive einzugehen. Hier verschenkt er ein enormes Potential der von ihm ausgewerteten Quellen und beläßt es dabei, die bekannten Standpunkte der Forschung zu referieren. Während die Taten ausführlichst ausgebreitet werden, bleiben die Täter dahinter leider weitgehend konturlos.
Ungeachtet aller Kritikpunkte hat Wolfgang Curilla ein beeindruckendes und wichtiges Buch geschrieben, das aber vor allem als Handbuch und Nachschlagewerk genutzt werden sollte, wobei die vorzügliche Erschließung über Personen-, Orts- und Einheitenregister optimale Hilfestellung leistet.