Die Krim unter deutscher Herrschaft 1941-1944
Germanisierungsutopie und Besatzungsrealität

Norbert Kunz schließt mit seiner nun im Druck vorliegenden Dissertation eine Lücke in der Erforschung deutscher Besatzungspolitik in der Sowjetunion, indem er sich den Utopien und der Praxis nationalsozialistischer Krimpolitik widmet. In konzentrierter Form spannt er einen weiten Bogen von frühen NS-Krim-Utopien bis zur Besatzungsrealität in all ihren Facetten.
Die Krim erfreute sich schon früh eines gesteigerten Interesses von NS-Ideologen. Frühe germanische und spätere deutsche Siedler mußten als Legitimation für nationalsozialistische Kolonisationspläne herhalten, die in Pläne für die Schaffung eines 'Gotengaus' mündeten. Der Diktator selbst teilte die Krimbegeisterung. Er sah eine vollständige Germanisierung und sogar Eingliederung der Halbinsel in das weit entfernte Deutsche Reich vor. Bei bloßen rassistischen Utopien sollte es nicht bleiben. Kurz vor Ende der Kämpfe auf der Krim erging am 3. Juli 1942 ein Befehl Hitlers an das Armeeoberkommando der dortigen 11. Armee, 'alle Russen, Armenier und sonstigen Bolschewisten' (S. 65) zu entfernen und nur Tartaren und Volksdeutsche dort zu lassen. Mit einem Handstreich sollten 700.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden, mehr als drei Viertel der Gesamtbevölkerung der Krim. Von Seiten der Wehrmacht, die innerhalb weniger Stunden Vorschläge zur Durchführung machen sollte, wurde geltend gemacht, die Realisierung des Befehls lasse die Wirtschaft zusammenbrechen und spiele den Partisanen in die Hände. Moralische Bedenken hatte die Wehrmacht aber offenbar keine. So entwarf der Armeeoberbefehlshaber von Manstein ein ihm realistischer erscheinendes Konzept, bat aber, anstelle der Wehrmacht Polizei und SS mit dieser Aufgabe zu betrauen. Am Ende stand die Entscheidung Hitlers, weitere Volksgruppen von den Plänen zunächst auszunehmen und die Deportationen durchzuführen, sobald die Lage es erlaube. So hatte sich 'das Hunderttausenden von Menschen zugedachte Los im Laufe von nur einem Tag zweimal gewendet' (S. 68).
Die Besatzungsrealität war jenseits solch menschenverachtender Planungen für die Bevölkerung entscheidend von der NS-Rassenideologie und ihren inneren Widersprüchen geprägt. 1942 zählten die Deutschen 74 verschiedene Ethnien, die sie einer feinabgestuften Rassenhierarchie unterwarfen. Spannungen untereinander konnten ausgenutzt werden. Die ohnehin antibolschewistisch eingestellten Tartaren zum Beispiel wurden aus Zweckmäßigkeitserwägungen nicht nur von den Deportationsplänen ausgenommen, sondern auch sonst in mannigfaltiger Form privilegiert und so für die Mitarbeit an der Partisanenbekämpfung oder in der Verwaltung gewonnen.
Die Einstufung in die Rassenhierarchie war keine bloße Frage des Grades der Privilegierung oder der Unterdrückung, vielmehr für etliche Menschen eine Frage von Leben und Tod. Juden wurden auf der Krim grundsätzlich ermordet, wobei die Einsatzgruppe D und die Wehrmacht weitgehend Hand in Hand arbeiteten. Doch machten die Mörder der Einsatzgruppe D eine ihr bislang neue Erfahrung: Sie mußten feststellen, daß Jude nicht gleich Jude ist. Probleme bereitete ihnen die Einordnung der Karäer und der Krimtschaken, die beide jüdischen Ursprungs waren. Nach Erkundigungen, die man bei beiden Gruppen selbst und der übrigen Bevölkerung eingeholt hatte, entschied das Reichssicherheitshauptamt in Berlin schließlich willkürlich die Verschonung der Karäer und die Ermordung der Krimtschaken. Den Karäern rettete der Umstand, daß sie sich eines gewissen Rückhalts bei den Tartaren erfreuen konnten, letztlich das Leben.
Insgesamt führt Kunz den Leser souverän und auf breiter Quellenbasis durch die bisweilen komplizierten Verhältnisse auf der Krim, die er überaus plastisch und gut nachvollziehbar beschreibt. Die Darstellung büßt stellenweise aber leider durch eine Vielzahl von Abkürzungen oder Abkürzungsungetümen an Lesbarkeit ein. Diese werden zudem nicht konsequent benutzt oder kommen im Textteil nur einmal vor. Kunz ist dennoch auf erfreulich knappem Raum eine anschauliche Darstellung und überzeugende Analyse deutscher Besatzungspolitik auf der Krim gelungen. Besonders hervorzuheben ist der Ansatz, alle zentralen Felder der deutschen Besatzungsherrschaft umfassend abzudecken und miteinander in Beziehung zu setzen.