Das Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek
Funktionswandel im Kontext der 'Endlösung'

In den letzten Jahren sind regionale Forschungen zu den Schauplätzen der Judenvernichtung immer mehr ins Zentrum historischer Darstellungen gerückt und gerade auch der Distrikt Lublin wurde verstärkt in den Blick genommen (Dieter Pohl, Bogdan Musial). Es ist erfreulich, daß mit Barbara Schwindt nun eine deutsche Forscherin ihre Doktorarbeit dem in Deutschland wenig, in Polen dagegen recht breit erforschten Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek widmet. In der deutschen Öffentlichkeit ist wenig etwas über dieses Lager bekannt und so sind der Studie von Schwindt über die Entwicklung und Geschichte des 'KL Lublin', so der offizielle Name von Majdanek, zahlreiche Leser zu wünschen.
Schwindt untersucht den Funktionswandel des Lagers in den verschiedenen Phasen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und stellt die verschiedenen Rollen des Lagers in seiner zeitlichen Entwicklung dar: 'Majdanek fungierte als Zwangsarbeits-, Sammel, Durchgangs- und Vernichtungslager für Jüdinnen und Juden.' (S. 287) Sie betont dabei die große Bedeutung des Distrikts Lublin innerhalb der Geschichte des Judenmords wie auch - damit eng zusammenhängend - die exponierte Rolle des SS- und Polizeiführers in diesem Distrikt, Odilo Globocnik. Vor allem in den Hauptteilen des Buches, in dem die Geschichte des Lagers selbst und Bedingungen für die dorthin deportierten Juden, wie etwa bei den Selektionen, detailliert geschildert werden, vermag die Studie zu überzeugen.
Sie hat allerdings auch Schwächen, vor allem zu Beginn: Schwindts Argumentation hinsichtlich der Entwicklung zur 'Endlösung' und den Diskussionen über den Zeitpunkt, an dem für die NS-Spitze feststand, daß das Ziel der Massenmord an den Juden Europas sein sollte, geraten teilweise etwas schwammig. Die Darstellung der Judenverfolgung im Distrikt Lublin vor dem Beginn der . Funktionswandel im Kontext der 'Endlösung' vermag ebenfalls nicht vollständig zu überzeugen, so werden etwa die katastrophalen Bedingungen im Getto in Lublin mit deutschen Zitaten, in einem Fall aus einer deutschen Zeitung, in einem anderen gar mit der Aussage eines SS-Mannes, belegt; sehr viel überzeugender wäre hier doch wohl die Nutzung der im Archiv der Gedenkstätte Majdanek vorhandenen Erinnerungsberichte Überlebender gewesen - die allerdings auf Polnisch vorliegen. Neuere polnische Forschungen wurden ebenfalls nicht konsequent ausgewertet: So fehlt die Arbeit von Tadeusz Radzik zum Lubliner Getto, die Arbeiten von Robert Kuwalek zu Aspekten der Lagergeschichte, die Schwindt durchaus diskutiert, wurden nicht rezipiert (beispielsweise zu Lubliner Juden in Majdanek oder zu den Massenmorden von Häftlingen im Krepiecki-Wald). Gerade zu Majdanek hat die polnische Historiographie ausgesprochen umfangreich gearbeitet.
Sorgfältig arbeitet Schwindt in den wichtigsten Teilen des Buches die Entwicklung des Lagers Majdanek heraus, dessen Errichtung - so ihre These - nicht von vornherein im Zusammenhang mit dem geplanten Massenmord stand, sondern zunächst als Arbeitslager fungierte und dann im Laufe der Zeit, ebenso wie Auschwitz-Birkenau, die Doppelfunktion als Konzentrations- und Vernichtungslager erfüllte. In diesen Teilen ihrer Arbeit gelingt Schwindt eine weitaus dichtere und intensivere Darstellung. Hier stützt sie sich häufig auf Aussagen Überlebender aus dem Düsseldorfer 'Majdanek-Prozeß', deren Lektüre sicherlich nicht leicht, aber umso wichtiger ist.
Die Untersuchung von Barbara Schwindt ist trotz der geschilderten Mängel eine wichtige Forschungsleistung, die Einblicke in die Geschichte des 'KL Lublin' gibt, eines Konzentrations- und Vernichtungslagers, das, direkt am Stadtrand von Lublin für jederman sichtbar, Teil der Ausrottungspolitik der Nationalsozialisten war und dessen Geschichte gerade in Deutschland viel zu wenig bekannt ist.