Die Entfesselung der 'Endlösung'
Nationalsozialistische Judenpolitik 1939-1942

Christopher Browning ist einer der besten Kenner der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Mit der vorliegenden Studie legt er eine Untersuchung zur 'Judenpolitik' vom Beginn des Zweiten Weltkrieges bis zum Frühjahr 1942 vor, die schon jetzt als Standardwerk der Holocaustforschung bezeichnet werden kann. Der Band erscheint innerhalb einer von Yad Vashem herausgegebenen Reihe 'The Comprehensive History of the Holocaust'.
Browning sieht das Frühjahr 1942 als Zäsur und setzt daher hier den Schlußpunkt seiner Untersuchung der 'Entfesselung der 'Endlösung''. Gute Gründe sprechen dafür: Mit der Deportation eines großen Teils der Lubliner Juden im März 1942 beginnt in Belzec der Massenmord mit Gas und damit die 'Aktion Reinhardt', die systematische Ermordung der jüdischen Bevölkerung in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibór und Treblinka.
Nach einer knappen Einführung in die Hintergründe der antijüdischen Politik (dem schwächsten Teil des Buches) stellt er die Entwicklung im besetzten Polen dar, das er in der Kapitelüberschrift treffend als 'Laboratorium der Rassenpolitik' bezeichnet. Die Etappen der Verfolgung bis zum Beginn des 'Vernichtungskrieges' im Sommer 1941, Gewalt und Terror, Ausgrenzung, Vertreibung sowie die Ghettoisierung schildert Browning detailliert und überzeugend. Die zentrale Bedeutung der Entwicklungen vom Sommer bis zum Winter 1941 betonen sowohl Browning als auch Jürgen Matthäus, Autor des Kapitels 'Das 'Unternehmen Barbarossa' und der Beginn der Judenvernichtung, Juni - Dezember 1941', wenn auch mit teilweise unterschiedlichen Akzenten.
Browning stellt entscheidende Radikalisierungen in Zusammenhang mit militärischen Erfolgen und der deutschen Siegeseuphorie, nicht mit Mißerfolgen oder dem Kriegseintritt der USA. Ungeheure Bedeutung hat für ihn die Entscheidung Hitlers im September 1941, die deutschen Juden zu deportieren und damit den Massenmord auf alle europäischen Juden auszuweiten. Die Standorte der ersten Vernichtungslager waren zu diesem Zeitpunkt ausgewählt und Vergasungstechniken 'erprobt'. Zwar habe der umfassende Massenmord auch an den reichsdeutschen Juden noch nicht Ende 1941 begonnen, doch sei den Verantwortlichen klar gewesen, daß deren Einquartierung in die Gettos nur vorübergehend sei und daß am Ende ihre Ermordung stünde. Nach Browning war nur die Frage, wie die Deportierten ermordet werden sollten, noch nicht entschieden. Er kennzeichnet die Zeit zwischen Oktober 1941 und März 1942:  'Es handelte sich um eine Periode der Initiativen, Experimente und Vorbereitungen' (S. 536).
Eine zentrale Frage innerhalb der Diskussion über den Entscheidungsprozeß ist das Verhältnis von zentraler Planung und situativem Handeln vor Ort. In den letzten Jahren hat die historische Forschung zunehmend die Radikalisierung in den besetzten Regionen selbst in den Blick genommen. Antijüdische Maßnahmen und Exzesse der lokalen Machthaber und Einheiten haben entscheidend zur Implementierung des Massenmords beigetragen. Christopher Browning verschiebt den Schwerpunkt nun wieder von der Peripherie in das Zentrum und betont die zentrale Rolle Hitlers. Dieser gab, so Browning, mehr oder weniger verschlüsselt, vor, was die Richtlinien der nationalsozialistischen 'Judenpolitik' waren. Diese Signale wurden von anderen aufgenommen, deren Weisungen und Handlungen dann wiederum von Hitler bestätigt. Besonders am Reichsführer SS wird dies, so Browning, deutlich: 'Wer erfahren will, was Hitler dachte, muß sich ansehen, was Himmler tat.' (S. 606).
Kaum jemand kennt die umfangreichen Quellen und die Literatur zum Thema besser als Browning, der den Prozeß der Entscheidung zum Massenmord auf dieser Grundlage überzeugend analysiert. Die 'Entfesselung der 'Endlösung'' ist eine herausragende Darstellung zur Entwicklung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik in den Jahren 1939 bis 1942, die als solche ihresgleichen sucht.