Tarnung - Leistung - Werbung
Untersuchungen zur Sprache im Nationalsozialismus

Tarnung, Leistung, Werbung: Diese drei Stichwörter charakterisieren die drei Beiträge eines von Albrecht Greule und Waltraud Sennebogen herausgegebenen Sammelbandes zur Sprache im Nationalsozialismus. Die Aufsätze von Bernadette Zehender, Maresa Hottner und Waltraud Sennebogen handeln von der 'Tarnsprache der Wehrmachtberichte', der 'Sprache im Reichsarbeitsdienst' und der 'Sprachregelung in der nationalsozialistischen Wirtschaftswerbung'.
Die Beiträge sind der Erkenntnis verpflichtet, daß es nicht ausreicht, den offiziellen und halb-offiziellen Sprachgebrauch der Jahre 1933 bis 1945 pauschal als 'Sprache des Nationalsozialismus' zu etikettieren. Vielmehr läßt sich aus der Analyse unterschiedlichster Texte dieses Zeitraums der Eindruck gewinnen, daß es eine Reihe von verschiedenen Sprachformen gibt, die als Bestandteile einer 'Sprache im Nationalsozialismus' bezeichnet werden können. Dieser 1984 von Utz Maas angestoßene Gedanke ('Als der Geist der Gemeinschaft eine Sprache fand'. Sprache im Nationalsozialismus) erfordert noch viele Einzelstudien, die sich schließlich zu einem Gesamtbild der 'Sprache im Nationalsozialismus' verdichten sollten. Utz Maas selbst hat dazu in seinem 'Klassiker' einige vorzügliche Proben geliefert, die aber ganz offensichtlich die Fachwelt so sehr überzeugt haben, daß weitere Studien ' von wenigen Ausnahmen abgesehen ' ausgeblieben sind. Um so erfreulicher ist es, daß nun drei neue Versuche vorliegen, die These an ausgewählten Textsorten zu erhärten.
Eingeleitet wird der Band durch einen kurzen Überblick über den Forschungsstand. Waltraud Sennebogen gelingt es hier, die bisher wichtigsten Arbeiten und Erkenntnisinteressen vorzustellen und die drei neuen Beiträge in den Forschungskontext einzuordnen. Ihre nüchterne, wohl abgewogene Bestandsaufnahme ergänzt den letzten, engagierten, aber stark wertenden Forschungsabriß Christoph Sauers, der von der Autorin selbst offenbar nicht herangezogen wurde (Sprachwissenschaft und NS-Faschismus. Lehren aus der sprachwissenschaftlichen Erforschung des Sprachgebrauchs deutscher Nationalsozialisten und Propagandisten für den mittel- und osteuropäischen Umbruch?, in: Klaus Steinke (Hg.), Die Sprache der Diktaturen und Diktatoren, Heidelberg 1995, S. 9-96). Noch nicht berücksichtigt sind auch die Überlegungen zur Untersuchung der 'Sprache der Opfer des Nationalsozialismus', wie sie vor allem von der Gießener 'Arbeitsstelle Holocaustliteratur' vorangetrieben werden. Eine Gesamtdarstellung der 'Sprache im Nationalsozialismus', so scheint mir, wird erst möglich, wenn auch dieser Aspekt angemessen beschrieben ist. Man vergleiche dazu die Angaben unter www.holocaustliteratur.de.
Die Beiträge des Sammelbandes zielen aber ohnehin vor allem auf eine differenzierte Sicht der 'Sprache der Täter'. So zeigt Bernadette Zehender (Die Tarnsprache der Wehrmachtberichte unter Einbeziehung nationalsozialistischer Sprachelemente, S. 31-87), daß ein 'Wehrmachtbericht' nicht nur informieren, sondern auch beeinflussen soll und leitet daraus die Folgerung ab, daß der 'Wehrmachtbericht' als eigenständige Textsorte neben die Textsorte 'Bericht' zu stellen sei. Je mehr sich die Kriegslage verschlechtert, um so größeren Raum nehmen Verschleierung, Beschönigung und eine grundsätzlich einseitige Berichterstattung zu. Zum Zwecke der Tarnung werden Adverbien, Adjektive und Indefinitpronomen als positive Verstärker dort verwendet, wo sie über tatsächliche Mißerfolge hinwegtäuschen sollen. Ein kleines, onomasiologisch vorstrukturiertes Lexikon gibt einen guten Einblick in den Wortschatz dieser 'Tarnsprache'. So zeigt die Untersuchung an konkreten Beispielen, daß der 'Wehrmachtbericht' im Verlauf des Krieges mehr und mehr zu dem wurde, was Joseph Goebbels festgelegt hatte: 'Die Nachrichtenpolitik im Krieg ist ein Kriegsmittel. Man benutzt es, um Kriege zu führen, nicht um Informationen auszugeben' (Tagebuch vom 10. Mai 1942).
Maresa Hottner (Sprache im Reichsarbeitsdienst. Eine Untersuchung propagandistischer, parteiinterner und privater Texte, S. 89-172) beschäftigt sich nach einer kurzen Skizze der Entwicklung und Funktion des Reichsarbeitsdienstes mit der bisher einzigen ' im weitesten Sinne ' sprachwissenschaftlichen Darstellung des Themas. Sie stammt von einem sonst nicht wissenschaftlich hervorgetretenen Autor namens Ludwig Götting, der 1944 im zweiten und zugleich letzten Band des 'Jahrbuchs der deutschen Sprache' erschienen ist. In diesem, von Ludwig Gierach vorbereiteten Band, sind Texte längst etablierter Professoren enthalten, aber auch von Germanisten wie von der Leyen, Pretzel und Schmitt, deren Karrieren unterbrochen oder nicht recht voranzukommen schienen. Dazu treten Laien-Texte wie der von Götting, deren Ziel es offensichtlich war, die Sprachen der durch den nationalsozialistischen Staat neu geschaffenen Gruppen sowie gleichgeschalteter Einrichtungen unter ' wie wir heute sagen würden ' soziolinguistischen Vorzeichen zu beschreiben. Göttings Beitrag ist daher Teil eines von außen an die Germanistik herangetragenen Modernisierungsschubs; seine Kernaussage, die Sprache des Reichsarbeitsdienstes sei 'neu und einzigartig' kann von Maresa Hottner allerdings vollständig entkräftet werden. Götting nennt Elemente aus verschiedenen Gruppensprachen, aber keine Merkmale, die für den Arbeitsdienst allein typisch wären. Dies beweist sie durch eine Analyse zeitgenössischer Texte, die durch Interviews ergänzt werden. Die Sprache des Reichsarbeitsdienstes folgt der Diktion der Partei, ist keine spezifische Propagandasprache. Eine Sprache im Reichsarbeitdienst gibt es nicht. Mit ihrem Untersuchungsergebnis, das im Gegensatz zur Wunschvorstellung Göttings steht, zeigt Maresa Hottner zugleich, wie weit die erfolgreiche Gleichschaltung des öffentlichen Lebens vorangeschritten war.
Waltraud Sennebogen (Von Jüdischer Reklame zu Deutscher Werbung. Sprachregelung in der nationalsozialistischen Wirtschaftswerbung, S. 173-230) widmet sich schließlich einem Thema, das in der sprachwissenschaftlichen Forschung bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Nach einer Skizze der Wirtschaftsideologie des Nationalsozialismus, die die Wirtschaft in den 'Dienst' der Volksgemeinschaft stellt und die Aufhebung des Konkurrenzprinzips anstrebt, arbeitet sie die Veränderungen heraus, die sich aus dem Konzept der nationalsozialistischen 'Wirtschaftswerbung' nach 1933 ergaben. Von der 'Reklame' als kapitalistischem Auswuchs, die mit den Attributen 'unehrlich', 'geschmacklos' und schließlich 'jüdisch' belegt wurde, kommt es zur 'deutschen Wirtschaftswerbung' die all dies natürlich nicht sein sollte. 'Deutsche Wirtschaftswerbung' wird also von der Politik gesteuert und damit ein Fall von Sprachlenkung. Hierher gehören ' zumindest in der Anfangsphase ' puristische Bestrebungen (etwa 'Pyjama' für 'Schlafanzug'), auch die 'Eindeutschung der Farb- und Artikelbezeichnungen der zunächst französisch geprägten Modebranche ('lichtblau' statt 'azur', 'neurot' statt 'aubergine'). Auffällig ist auch das Verbot bestimmter 'Sakralwörter', nach Waltraud Sennebogen Bezeichnungen für nationalsozialistische Symbole. Für einen 'braunen Buchring', 'SA-Koffer', eine 'Deutsche Volksversicherung' oder 'Deutsche Brauselimonade' durfte nicht geworben werden. Eine Auswahlliste verbotener Wörter, Auszüge aus Verdeutschungslisten und sprachregelnde Verlautbarungen schließen den grundlegenden und informativen Beitrag ab.
Alle drei Hauptbeiträge des Bandes sind aus Qualifikationsschriften im Rahmen des Staatsexamens für das Lehramt oder der Magisterprüfung hervorgegangen. Sie dokumentieren damit zugleich auch das sprach- und geschichtswissenschaftliche Interesse der jüngsten Akademiker-Generation an den Verwendungsweisen der deutschen Sprache während der nationalsozialistischen Herrschaft. Es ist den Herausgebern sehr zu danken, daß dieses Interesse und die daraus resultierenden wissenschaftlichen Erträge einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnten.